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VON AXEL BURCHARDT  |  25.07.2017 13:11

Der älteste „Bad Boy“ der Welt

Wissenschaftler der Universität Jena haben 300 Millionen Jahre alten, „modernen“ Käfer aus Australien rekonstruiert

Er ist Australier, etwa einen halben Zentimeter groß, recht unscheinbar, 300 Millionen Jahre alt – und versetzt Zoologen und Paläontologen derzeit gleichermaßen in Erstaunen. Ein Käferfund aus dem ausgehenden Erdaltertum (oberes Perm), dem Zeitalter, in dem noch nicht einmal die Dinosaurier auf der Bildfläche erschienen waren, wirft gerade ein völlig neues Licht auf die früheste Entfaltung in dieser Insektengruppe.

Die Rekonstruktion und Merkmalsinterpretation von „Ponomarenkia belmonthensis“ ist Prof. Dr. Rolf Beutel und Dr. Evgeny V. Yan von der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) gelungen. Sie haben gemeinsam mit dem renommierten Käferforscher Dr. John Lawrence und dem australischen Geologen Dr. Robert Beattie die Entdeckung in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Journal of Systematic Palaeontology“ publiziert. Beattie war es, der die einzigen zwei bekannten fossilen Stücke des Käfers in einem ehemaligen Sumpfgebiet in Belmont, Australien, entdeckt hatte.

„Die Käfer, die heute mit knapp 400.000 beschriebenen Arten fast ein Drittel aller bekannten Organismen ausmachen, haben im Perm noch ein Schattendasein geführt“, erklärt der Jenaer Zoologe Beutel. „Die bisher bekannten Fossilien waren ‚altertümlichen‘ Käfern zuzuordnen, die sich unter der Rinde von Nadelbäumen aufgehalten haben. Sie weisen eine ganze Reihe ‚ursprünglicher‘ Merkmale auf, etwa noch nicht vollständig verhärtete Deckflügel oder eine dicht mit kleinen Höckern besetzte Körperoberfläche.“

Früheste Form des „modernen“ Käfers

Die nun entdeckte Art der neu eingeführten Familie Ponomarenkiidae hingegen kann trotz ihres bemerkenswerten Alters als „moderner“ Käfer bezeichnet werden. Neuartige Merkmale sind die perlschnurartigen Antennen, Antennengruben und der ungewöhnlich schmale, spitz zulaufende Hinterleib. Im Gegensatz zu bislang bekannten Käfern des Perm sind darüber hinaus die Deckflügel durchgehend verhärtet, die Körperoberfläche ist weitgehend glatt und die für die Fortbewegung zuständigen Brustsegmente weisen moderne Merkmale auf, erklärt Insektenpaläontologe Yan. Zudem habe der kleine Käfer anscheinend den vormals bevorzugten Aufenthalt unter Rinde aufgegeben und auf Pflanzen eine deutlich exponiertere Lebensweise geführt als seine Zeitgenossen. Wesentlich ist, dass sich die Gattung aufgrund ihrer Kombination ursprünglicher und moderner Merkmale in keine der vier noch lebenden Käfergroßgruppen einordnen lässt, weshalb Yan und Beutel ihr den Beinamen „Bad Boy“ gegeben haben.

„Ponomarenkia belmonthensis zeigt vor allem, dass die ersten wesentlichen Aufspaltungsereignisse in der Evolution der Käfer schon vor dem Permisch-Triassischen Massenaussterben stattgefunden haben“, berichtet Rolf Beutel. Die Käfer als Ganzes haben dieses dramatische Geschehen inklusive Versauerung der Meere und massiver Vulkaneruptionen wesentlich besser überstanden als die meisten anderen Organismengruppen – vermutlich durch das Leben an Land und das verstärkte Außenskelett. Der „Bad Boy“ jedoch hatte kein Glück: Es gibt im Erdmittelalter keinerlei Spuren mehr von seiner Existenz.

Namen zu Ehren eines bedeutenden Paläontologen

Gattung und Familie haben die Wissenschaftler von der Universität Jena dem Moskauer Paläontologen Prof. Dr. Alexander G. Ponomarenko gewidmet. Er prägt die Paläontologie der Käfer seit Jahrzehnten und ist der Doktorvater von Evgeny V. Yan. Dieser wurde von der Russischen Akademie der Wissenschaften promoviert, war fünf Jahre Postdoktorand an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Nanjing und forscht seit Juni 2016 als von der Alexander von Humboldt-Stiftung geförderter Gastwissenschaftler am Phyletischen Museum der Friedrich-Schiller-Universität. Yans aufwendigen Rekonstruktionen am Computer sind die genauen Einblicke in den „Ponomarenkia belmonthensis“ zu verdanken.

In einer ersten Phase wurden die zwei Käfer als Abdrücke auf Steinen etwa 40 Mal fotografiert. „Diese Fotoreihe hat eine akkurate 2D-Rekonstruktion ermöglicht, die die Deformationen am Originalfossil ausgleichen konnte. Damit konnten wir uns dem tatsächlichen Käfer schon nähern“, erläutert der Paläontologe. Basierend auf präzisen Zeichnungen und mit einem speziellen Computerprogramm, das auch für Animationen und Computerspiele eingesetzt wird, entstand ein aussagekräftiges 3D-Modell. „Die 3D-Rekonstruktion erlaubt auch Rückschlüsse auf die Fortbewegung und Lebensweise der Käfer“, so Dr. Yan. Diese Art der Visualisierung und die analytischen Verfahren, in die er auch hypothetische Vorfahren der Käfer einbezieht, hat er seit seiner Ankunft in Jena entwickelt. „Bereits bei drei neu entdeckten, außergewöhnlich alten Käferarten konnten wir das Verfahren anwenden“, freut sich Prof. Beutel. „Damit sind wir der Entschlüsselung der frühesten Evolution einer extrem erfolgreichen Tiergruppe wesentlich näher gekommen.“