VON Dr. Nina Diezemann |
17.08.2016 09:38
Studie: Weniger Lebenszufriedenheit nach Jobverlust, emotionales Wohlbefinden erholt sich
Wissenschaftler der Freien Universität Berlin und des DIW Berlin untersuchen differenziert die Gefühlslagen von Arbeitslosen: Auch lange Zeit nach einem Jobverlust erreichen Arbeitslose einer Studie zufolge nicht wieder das Niveau an Lebenszufriedenheit, auf dem sie sich vor der Arbeitslosigkeit befunden haben.
Die Untersuchung, die der Direktor des Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) im DIW Berlin, Jürgen Schupp, und die Soziologen Christian von Scheve und Frederike Esche von der Freien Universität Berlin auf Basis der SOEP-Daten erstellt haben, zeigt jedoch, dass dies nicht so sehr auf die emotionale Befindlichkeit der Betroffenen zurückzuführen ist. Vielmehr spielt die kognitive Wahrnehmung des eigenen Wohlbefindens dabei eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse wurden in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Journal of Happiness Studies publiziert.
Auf Basis von Daten der Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP), die zwischen 2007 und 2014 erhobenen wurden, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe panelökonometrischer statistischer Verfahren Veränderungen in der Lebenszufriedenheit und im emotionalen Wohlbefinden vor und nach einem Verlust des Arbeitsplatzes. Mit der Lebenszufriedenheit werden die kognitiven Bestandteile des Wohlbefindens, also resümierende Bewertungen der jeweiligen derzeitigen Verfassung, erfasst, wohingegen die emotionalen Aspekte auf aktuelle Gefühlslagen verweisen. Anders als in früheren Studien nutzten die Forscher kein zusammengefasstes Maß für das emotionale Wohlbefinden, sondern betrachteten die vier im SOEP erhobenen Emotionen (Angst, Ärger, Traurigkeit, Glück) getrennt voneinander. So konnten sie erstmals differenzierte Aussagen über die durch Arbeitslosigkeit hervorgerufenen Veränderungen spezifischer Emotionen treffen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus, dass mit dem Jobverlust die Lebenszufriedenheit nachhaltig abnimmt und Arbeitslose langfristig deutlich häufiger Traurigkeit und Freudlosigkeit empfinden. Der Verlust des Arbeitsplatzes geht jedoch nur kurzfristig mit einem häufigeren Erleben von Angst einher und steht in keinem bedeutenden Zusammenhang mit dem Empfinden von Ärger. Darüber hinaus zeigen die SOEP-Daten: Die Veränderungen im emotionalen Wohlbefinden sind unabhängig von der Persönlichkeit der Betroffenen. „In Phasen der Arbeitslosigkeit sind alle Menschen ängstlicher als zuvor oder danach – unabhängig davon, wie ängstlich sie sonst sind“, erklärt der SOEP-Direktor Jürgen Schupp.
„Einblicke in Emotionen, die mit Arbeitslosigkeit einhergehen, sind wichtig, weil sie nicht nur das Befinden, sondern auch das Denken und Handeln der Betroffenen beeinflussen“, sagt Christian von Scheve, Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin. „Daher ist es wichtig zu verstehen, welche Folgen sich für das emotionale Wohlbefinden der Betroffenen ergeben“, erklärt Frederike Esche, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Freien Universität. Deshalb sei es sinnvoll, dass neben den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit in jüngster Zeit auch die subjektiven Erfahrungen von Arbeitslosen verstärkt untersucht worden seien, sagt sie. Wenngleich Studien bereits die schädlichen Effekte von Arbeitslosigkeit auf das kognitive und affektive Wohlbefinden dokumentiert haben, gab es bislang keine Vergleiche dieser beiden Dimensionen. Die vorliegende Studie schließt diese Lücke.
Stichwort SOEP
Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP im DIW Berlin wird als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Ländern gefördert. Für das SOEP werden seit 1984 jedes Jahr vom Umfrageinstitut TNS Infratest Sozialforschung in mehreren tausend Haushalten statistische Daten erhoben. Zurzeit sind es etwa 30.000 Personen in etwa 15.000 Haushalten. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.