VON Dr. Ulrich Marsch |
07.06.2016 10:53
Synthetische Biotechnologie ermöglicht nachhaltige Produktion bioaktiver Naturstoffe
Die Natur stellt eine Vielzahl für den Menschen wertvoller Wirkstoffe bereit, die Palette reicht von Vitaminen über lebensnotwendige Fettsäuren bis hin zu krebshemmenden Substanzen. Viele dieser Stoffe sind schwierig aus der Natur zu gewinnen oder synthetisch herzustellen. Einen neuen Weg beschreiten Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM): Mit Methoden der Synthetischen Biotechnologie stellen sie Omega-3-Fettsäuren nachhaltig her und haben eine Strategie entwickelt, mit der sie nicht nur natürliche, sondern sogar ganz neuartige Arzneistoffe synthetisieren können.
In der Natur gibt es viele wertvolle Arznei- und Nährstoffe. Diese sind jedoch oft entweder schwer zugänglich oder ihre industrielle Gewinnung schadet den Tier- und Pflanzenpopulationen, in denen sie vorkommen. So enthält beispielsweise die Rinde der pazifischen Eibe (Taxus brevifolia) den Wirkstoff Taxol, der als Medikament gegen Brust-, Eierstock- und Lungenkrebs eingesetzt wird. Jedoch ist die Eibenart nicht weit verbreitet und geschützt.
Auch die lebensnotwendigen Omega-3-Fettsäuren, beispielsweise ein Bestandteil von Säuglingsnahrungen, werden derzeit vor allem aus Fischen und Krebstieren hergestellt – eine zusätzliche Belastung für die ohnehin schon stark beanspruchten marinen Ökosysteme.
Ziel der Arbeitsgruppe um Thomas Brück, Professor für Industrielle Biokatalyse an der Technischen Universität München, ist es daher, mit Hilfe von Methoden der Biochemie, Bioinformatik und Biotechnologie chemische Wertstoffe nachhaltig und doch in industriellen Mengen zu gewinnen.
„Gold“ aus Stroh – eine Hefe mit hohem Potential
Nun ist es Brück und seinem Team gelungen, die bislang nicht biotechnologisch genutzte Hefe Trichosporon oleaginosus genetisch so zu verändern, dass sie die essentiellen Omega-3-Fettsäuren Alpha-Linolensäure (ALA), Eicosapentaensäure (EPA) sowie entzündungshemmend wirkende konjugierte Linolensäuren (CLAs) herstellt.
Als Energiequelle kann die Hefe dabei Nährmedien auf Basis von fast allen in der Agrarwirtschaft anfallenden Abfällen wie Stroh, Holzspäne, Weizenkleie und sogar bisher ungenutzte marine Reststoffe wie Krabbenschalen verwerten. „Diese Hefe ist etwas Besonderes, da sie auch monomere Zuckerstoffe verwerten kann, die sonst nur sehr schwer abgebaut werden können“, erklärt Brück. „Wir gewinnen also aus Abfällen hochwertige chemische Stoffe, und das ohne die Umwelt zu belasten.“
Geraten Trichosporon oleaginosus-Zellen in der Natur unter Stress, beispielsweise durch Mangel an Stickstoff oder Phosphat, lagern sie Fette als Energiereserve ein. Zwar wächst die Hefe dann nicht mehr optimal, doch kann das in Form von Trigylceriden einlagerte Fett bis zu 70 Prozent ihres Trockengewichts erreichen.
In zukünftigen Projekten wollen die Wissenschaftler um Brück die ölbildende Hefe daher so weiter modifizieren, dass sie auch unter normalen Nährstoffbedingungen die gewünschten Fette in ausreichendem Maß herstellt, ohne das Ihr Wachstum gehemmt wird.
Von der Simulation zum maßgeschneiderten Enzym
Einen Schritt weiter geht eine Methodik, die die Wissenschaftler um Brück kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) vorstellten: Mit Hilfe molekularmechanischer Computersimulationen konnten sie die einzelnen Schritte aufklären, mit denen eine bestimmte Klasse von Enzymen Wirkstoffe herstellt. Zu diesen gehören auch Vorstufen des Krebsmedikaments Taxol.
Allein durch Simulationen am Computer gelang es Brück und seinem Team erstmals, sämtliche Zwischenschritte der an diesem Enzym ablaufenden komplexen Kaskade von Reaktionen korrekt vorherzusagen. Auf diese Weise konnten sie aufklären, wie das Enzym genau arbeitet und wie dessen Struktur und Funktion zusammenhängen. Mit klassischen biochemischen Methoden war dies zuvor nicht möglich gewesen.
„Dieses Vorgehen ist sehr vielversprechend, denn auf Basis der Simulationen können wir Enzyme gezielt verändern und die daraufhin entstehenden Produkte vorhersagen“, sagt Brück. „Wenn wir dann noch verschiedene solcher Enzyme miteinander verschalten, ist es sogar möglich, komplett neue Moleküle zu schaffen, die in der Natur gar nicht vorkommen.“
Durch Verschalten einer Diterpensynthase mit einer Hydroxylase-Reduktase in einem Escherichia coli-basierten Produktionsystem entwickelten die Wissenschaftlern eine effiziente Synthese des trihydroxylierten Diterpens Cyclooctatin, einem potenten Entzüngungshemmer.
Am Computer identifizierten sie eine für Diterpenmakrozyklen spezifische Reduktase im erst kürzlich erst kürzlich beschriebenen Genom des Bakteriums Streptomyces afghaniensis. Die biotechnologische Nutzung dieses Proteins ermöglichte es den Wissenschaftlern, die Ausbeute des Wirkstoffes im Vergleich zum nativen Produzenten um einen Faktor 43 zu erhöhen.
In Zukunft könnten Biotechnologen einmal ähnlich wie Ingenieure vorgehen, die am Computer die Produktionsschritte für ein neues Auto entwerfen. Mit dem Wissen der Synthetischen Biotechnologie könnten sie dann den Syntheseweg zu einem neuen Wirkstoff aus einer Kette von Reaktionen modifizierter Enzyme zusammenstellen. Das lange und sehr aufwändige „Austüfteln“ neuer Synthesewege im Labor, wie es heute notwendig ist, würde damit erheblich verkürzt.
Die aktuellen Forschungsarbeiten der Arbeitsgruppe Brück werden mit Mitteln der Europäischen Gemeinschaft (Projekt ChiBio), der Bundesministerien für Bildung und Forschung (Advanced Biomass Value, SysBioTerp, OMCBP) und für Wirtschaft (Projekt Bio@Jet) sowie der bayrischen Ministerien für Wissenschaft (Algenflugkraft), Wirtschaft (Algenflugkraft, Nachhaltige Produktion von Bioinsektiziden) und Umwelt (Geobiotechnologie und PHB) gefördert.
Aufgrund des enormen Potenzials dieser Methoden hat die
Technische Universität München Anfang Mai den Lehr- und Forschungsschwerpunkt Synthetische Biotechnologie ins Leben gerufen. Die Werner Siemens-Stiftung unterstützt die Einrichtung des Schwerpunkts mit 11,5 Millionen Euro.