VON Dr. Christian Flatz |
30.05.2016 09:37
Kometeneis im Labor
Poröses Eis, wie es im Weltall überall zu finden ist, haben der Innsbrucker Chemiker Thomas Lörting und sein Team näher unter die Lupe genommen. In der Fachzeitschrift Physical Review Letters berichten die Forscher, wie sie das amorphe Eis beim Aufwärmen beobachtet haben. Die als mögliche Geburtsstätte des Lebens geltenden Eisstrukturen zeigen dabei ein überraschendes Verhalten.
Als die Raumsonde Rosetta im November 2014 den Lander Philae auf den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko – kurz Tschuri – niedergehen ließ, war die Spannung groß. Zum ersten Mal war die Menschheit einem dieser durchs Weltall fliegenden Staub- und Eisriesen so nahegekommen. Die folgenden Untersuchungen drehten sich vor allem um das Wasser auf dem Kometen und die Suche nach organischen Verbindungen, die einen Hinweis auf den Ursprung des Lebens geben könnten. „Im Weltall liegt Wasser zu einem sehr großen Teil als amorphes Eis vor“, erklärt Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie der
Universität Innsbruck.
„Wenn sich Wassermoleküle an der extrem kalten Oberfläche des interstellaren Staubs ablagern, bildet sich Eis mit einer mikroporösen Struktur, die über eine riesige Oberfläche verfügt. Ein Gramm dieses Materials könnte man auf 500 Quadratmeter ausrollen.“ Dieses mit Aktivkohle vergleichbare Eis wirkt im Weltall wie ein Staubsauger, der alle Moleküle in der Umgebung aufnimmt und in den feinen Poren einlagert. Dort sind die Moleküle vor der harten Strahlung im All geschützt. Es gibt deshalb Vermutungen, dass die ersten Moleküle des Lebens, wie Peptide und Proteine, dort entstanden sein könnten.
Geburtsstätte des Lebens?
Thomas Lörting und sein Team haben nun im Labor untersucht, welche Bedingungen in diesen Eis-Poren herrschen. „Wenn Kometen auf die Sonne zufliegen, erwärmt sich das Eis und erweicht“, sagt der Chemiker. „Wir wollten uns das im Detail anschauen und haben das amorphe Eis mit einer ganz neuen Methode näher untersucht.“ Die in einem von Lörtings Team entwickelten Verfahren an der Uni Innsbruck hergestellten Proben wurden dazu nach England überführt und dort im Rutherford Appleton Laboratory in der Nähe von Oxford in einem gepulsten Neutronenreaktor analysiert. „Anhand der Kleinwinkelstreuung lässt sich die Porenstruktur des Eises sehr gut erkennen“, erzählt Lörting. Gemeinsam mit Kollegen von der Open University in Milton Keynes untersuchten die Innsbrucker Forscher nun, bei welchen Temperaturen und wie genau sich die Mikroporen des Eises verändern: „Die anfangs rauen, zylinderförmigen Poren des Eises werden zunächst glatt und sacken dann in sich zusammen“, schildert Thomas Lörting seine Beobachtungen. „Man kann sich das vorstellen, wie einen Joghurtbecher, der im Backrohr langsam zusammensackt.“ Das Eis bildet dann lamellenförmige, zweidimensionale Strukturen aus. Gleichzeitig reduziert sich die Oberfläche auf weniger als ein Quadratmeter pro Gramm.
Flüssiges Wasser
Eine wichtige weitere Entdeckung: Oberhalb einer Temperatur von minus 150 Grad Celsius bildet sich flüssiges Wasser, das erst bei minus 120 Grad auskristallisiert und die in den Poren gesammelten Moleküle freigibt. Diese bilden beim Flug zur Sonne den für Kometen charakteristischen Schweif. „Die zweidimensionalen Strukturen und das flüssige Wasser bei so extrem tiefen Temperaturen sind eine sehr spezielle Umgebung für chemische Prozesse. Wir wollen in einem nächsten Schritt diese Prozesse mit im Eis eingelagerten Molekülen näher untersuchen“, blickt Lörting bereits in die Zukunft. Die von den Chemikern im Labor gesammelten Daten sind wichtig für die Kometenforschung, umgekehrt wartet das Innsbrucker Forschungsteam gespannt auf weitere Daten der Rosetta-Mission. „Unter seiner staubigen Haut besteht Tschuri zu einem großen Teil aus diesem amorphen Eis. Messungen der ESA-Sonde sind deshalb für uns von großem Interesse“, sagt Lörting.
Die Experimente von Lörtings Team fanden im Rahmen der Forschungsplattform Material- und Nanowissenschaften der Universität Innsbruck statt und wurden unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und dem ESF Forschungsnetzwerk Micro-DICE finanziell unterstützt.