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VON Michael Hallermayer  |  24.05.2016 10:32

Wie reagieren bei Stammtischparolen?

Ein Argumentationstraining, das an der Universität Augsburg entwickelt wurde, gibt wertvolle Tipps zum Umgang mit diskriminierenden und pauschalisierenden Parolen.

Augsburg/MH – Mit welchen Kommunikationstechniken platten Stammtischparolen begegnet werden kann, die sich durch einen dogmatischen Anspruch auf Allgemeingültigkeit auszeichnen, hat der Augsburger Pädagoge Dr. Christian Boeser-Schnebel mit Kollegen mehrere Jahre erforscht. Ihre Erkenntnisse sind nun in ein Buch sowie in ein Konzept für ein Argumentationstraining eingeflossen, welches insbesondere in Bayern und Sachsen sehr intensiv nachgefragt wird.

„Die Politiker interessieren sich alle nur noch für ihre Karriere, nicht mehr für uns Bürger“ oder „Das waren bestimmt Asylanten, das weiß doch jeder“ – solche oder andere aggressiven, pauschalisierenden und diskriminierenden Parolen gibt es leider immer wieder. Im ersten Moment sind diejenigen, die damit konfrontiert werden, schockiert und suchen dann teils die Konfrontation. „Solche Stammtischparolen sind keine Einladung zum Diskurs, sondern festgemauerte Aussagen von Menschen, die glauben, ihre Meinung hätte einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit“, weiß der Augsburger Pädagoge Dr. Christian Boeser-Schnebel. Seit 2012 Jahren entwickelt er Trainings für Multiplikatoren in Vereinen, Parteien und anderen Organisationen, wie sie in ihrem Alltag richtig mit solchen Aussagen umgehen können. „Versucht man mit eigenen Gegenargumenten den anderen belehrend von seinem Weltbild zu überzeugen, geschieht genau das Gegenteil“. Der zentrale Ansatzpunkt für ihn ist die eigene Haltung: Nicht missionieren, sondern das eigentliche Problem herausarbeiten. Das geht am besten mit Fragen zu den Motiven und der wahrgenommenen Situation zu diesen Parolen statt mit eigenen Aussagen wie „Das stimmt doch gar nicht!“.

Praktische Tipps für überraschende Konfrontationen

Auf pauschale Beleidigungen und Diskriminierungen, die in der Öffentlichkeit geäußert werden, sollte man auf jeden Fall reagieren und sich distanzieren. Der Wissenschaftler von der Universität Augsburg rät: Wiederholen Sie zuerst die Parole – „Höre ich richtig, dass …“ - Sagen Sie, was diese Aussagen bei Ihnen auslösen – „Das macht mich sauer“ – und sagen Sie, was Sie erwarten – „Solche Sprüche möchte ich hier nicht hören“. Bei den Trainings, die Christian Boeser-Schnebel in ganz Deutschland anbietet, möchten viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer Argumente lernen, mit denen sie die Sprücheklopfer umstimmen können. Eine inhaltliche und zudem konstruktive Auseinandersetzung mit solchen Parolen könne bei einer spontanen Reaktion nicht entstehen, so der Pädagoge. Denn oft wird man in Situationen damit konfrontiert, in denen ein klärendes Gespräch gar nicht möglich sei. Wichtig sei, dass man solche Stammtischparolen nicht stehen lässt und sich klar dagegen ausspricht. Für eine wirkliche Diskussion sei ein späterer Zeitpunkt dann sinnvoller. Auch hierfür gibt es in den Workshops Gesprächstechniken, wie pauschalisierende Sprüche aufgearbeitet werden können.

Argumentationstraining gegen Stammtischparolen

Kommunikationstechniken wie diese vermitteln die Argumentationstrainings, die der Augsburger Pädagoge mit seinen Kolleginnen und Kollegen anbietet. Die Teilnehmenden arbeiten dabei gemeinsam die typischen Merkmale von Stammtischparolen heraus, lernen deren Motive einzuordnen und die eigene Haltung im Umgang mit diesen zu reflektieren. Gebucht wird der Workshop von Stiftungen, Schulen, Jugendfeuerwehren, Volkshochschulen und Parteien in ganz Deutschland – in Bayern und Sachsen ist die Nachfrage besonders groß. In Sachsen berichten Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit, dass sie sich oftmals für ihr Engagement rechtfertigten müssten.

Das Konzept für das Argumentationstraining wurde im Netzwerk Politische Bildung Bayern erarbeitet, das am Augsburger Lehrstuhl für Pädagogik mit Schwerpunkt Erwachsenen- und Weiterbildung angesiedelt ist. Die Grundlage bildet die Forschung von Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer, der sich bereits vor 15 Jahren mit Parolen zu Rassismus befasst hat. Aufbauend darauf hat das Augsburger Team das Konzept für das Themenfeld Politik(er)verdrossenheit fruchtbar gemacht. Am Anfang standen Forschungsseminare mit Studierenden, die in Interviews mit Bürgerinnen und Bürgern deren Sicht auf Politik und Politiker erforscht haben. Daraus wurden Methodenmodule für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt, wie z.B. Schüler, Jugendliche oder Erwachsene. In Expertenworkshops wurden die Ideen dann evaluiert und anschließend überarbeitet. Immer wieder wurden diese beiden Entwicklungsschritte in über 50 Workshops wiederholt, bis das Schulungskonzept perfekt war.

Erfahrung aus über 50 Workshops jetzt in einem Buch

Die Erkenntnisse dieser jahrelangen Forschung kommen nicht nur in den Argumentationstrainings zum Tragen. In dem Buch „Politik wagen. Ein Argumentationstraining“ von Christian Boeser-Schnebel, Klaus-Peter Hufer, Karin Schnebel und Florian Wenzel sind die Forschungsergebnisse gebündelt erschienen. Es eignet sich als Reader für Multiplikatoren, die selbst solche Argumentationstrainings durchführen und für Bürger, die ihre politische Urteils- und Handlungsfähigkeit weiter entwickeln möchten.

Im Sommer findet im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst eine Buchvorstellung mit Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und Dr. Theo Waigel, Bundesminister a. D. sowie Vorsitzender des Kuratoriums der Universität Augsburg, statt. Eine gesonderte Einladung hierzu erfolgt rechtzeitig.