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VON Jan Meßerschmidt  |  10.12.2015 10:12

Mit Ionen-Pingpong magische Neutronenzahl exotischer Atomkerne bestätigt

Einem internationalen Wissenschaftlerteam ist es erstmals gelungen, die Bindungsenergien von Atomkernen der exotischen Kaliumisotope 52K und 53K massenspektrometrisch zu bestimmen.

Die Messungen am europäischen Forschungszentrum CERN erfolgten mit einem an der Universität Greifswald gebauten Flugzeitspektrometer. Die Resultate ergänzen Untersuchungsergebnisse, die vor zwei Jahren bei den entsprechenden Calciumisotopen erzielt wurden. Sie bestätigen die damals ermittelte neue magische Neutronenzahl N=32. Über die Messergebnisse und begleitende theoretische Berechnungen berichtet das internationale Fachmagazin Physical Review Letters in seiner jüngsten Ausgabe (22. Mai 2015).

Alle Atome bestehen aus einer Elektronenhülle und einem Kern aus Protonen und Neutronen. Die Anzahl der Protonen bestimmt die Zugehörigkeit zu dem jeweiligen chemischen Element, die der Neutronen die Isotopenart. Nur wenige der bekannten Atomkerne sind völlig stabil. Die meisten zerfallen unter Abgabe radioaktiver Strahlen. Aber die Instabilität kommt in unterschiedlicher Ausprägung vor. Maß der Stabilität ist die Bindungsenergie der Protonen und Neutronen im Kern. Diese können sich, ähnlich wie die Elektronen der Atomhülle, in verschiedenen Schalen aufhalten. Kerne mit abgeschlossenen Schalen, wie für stabiles Calcium, Zinn oder Blei bei den Protonenzahlen 20, 50 bzw. 82, haben vergleichsweise hohe Bindungsenergien oder mit anderen Worten: Die Energie, die man benötigt, um ein Proton zu entfernen, ist deutlich größer als bei ihren „Nachbarn“, die nur ein oder wenige weitere Protonen in der nächsten Schale besitzen. Mit den Neutronen verhält es sich genauso.

Im Zusammenhang mit diesen besonderen schalenstabilisierten Kernen spricht man auch von den „magischen“ Protonen- und Neutronenzahlen. Im Bereich der stabilen und langlebigen Kerne sind diese magischen Zahlen, nämlich 8, 20, 28, 50, 82 und 126, schon seit Jahrzehnten bekannt. Inzwischen zeigt sich aber, dass die Stabilitätsverhältnisse – und damit auch die Werte der magischen Zahlen – umso größeren Veränderungen unterworfen sind, je weiter man in die Gebiete der exotischen Kerne vorstößt. Als exotische Kerne bezeichnet man die kurzlebigen, d. h. solche, die schon in wenigen Stunden, Minuten, Sekunden oder nur Bruchteilen davon zerfallen.

Vor zwei Jahren konnte mit dem Spektrometer ISOLTRAP am CERN ein neuer Neutronenschalenabschluss massenspektrometrisch nachgewiesen werden. Das ISOLTRAP-Team besteht aus Wissenschaftlern des CERN, des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg, des Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt, des Helmholtz-Instituts Mainz sowie von Universitäten in Dresden, Greifswald, Istanbul (Türkei), Leuven (Belgien) und Orsay (Frankreich). Damals wurden die Massen und damit die Bindungsenergien der exotischen Calciumisotope mit 33 und 34 Neutronen untersucht. Es zeigte sich, dass diese Isotope besonders kleine Neutronenseparationsenergien besitzen, das heißt, dass der Energieaufwand zum Abtrennen eines beziehungsweise zweier Neutronen besonders klein ist, verglichen mit dem Calciumisotop mit 32 Neutronen. Damit konnte die Neutronenzahl N=32 als magische Zahl für exotische Calciumkerne sicher bestimmt werden.

Allerdings blieb die spannende Frage, ob es sich hier um einen Einzelfall handelt oder eine weitergehende Systematik vorliegt, das heißt ob dieser Neutronenschalenabschluss auch bei anderen Elementen vorliegt. Immerhin ist ja Calcium ein besonderes Element, da schon seine Protonenzahl, nämlich Z=20, magisch ist. Das ISOLTRAP-Team knüpfte jetzt hier an, indem es die Calcium-Untersuchungen auf das Nachbarelement Kalium erweiterte. Dessen Atome besitzen ein Proton weniger, also Z=19. Wieder mussten die Kerne mit N=33 und 34 Neutronen untersucht werden. Allerdings war jetzt der Neutronenüberschuss gegenüber den Protonen noch größer als schon beim Calcium. Dieser Überschuss ist ebenfalls ein Maß dafür, wie exotisch die Kerne sind. Hatten schon die beiden Calciumisotope Halbwertszeiten von nur einer halben bzw. einer zehntel Sekunde, so verringerten sie sich nun beim Kalium auf nur eine zehntel bzw. eine dreißigstel Sekunde. Als besondere Herausforderung kam hinzu, dass es schwieriger wurde, diese Teilchen in ausreichender Anzahl durch Kernreaktionen für die Massenmessungen zu erzeugen.

Aber sowohl die kurze Halbwertszeit als auch die geringe Teilchenzahl reichten immer noch aus für die Präzisionsmessungen mit dem „Multireflexions-Flugzeitmassenspektrometer“, das von den Greifswalder Partnern zur ISOLTRAP-Apparatur beigesteuert wurde. Dessen Messprinzip, die Flugzeitmassenmethode, ist schnell erklärt: Alle Ionen erfahren die gleiche Kraft und werden daher bei unterschiedlicher Masse entsprechend unterschiedlich beschleunigt, analog zur großen Beschleunigung eines leichten Sportwagens im Vergleich zu der eines schweren Lastkraftwagens, auch wenn beide über eine gleich hohe Motorleistung verfügen. Die unterschiedlichen Beschleunigungen führen zu entsprechenden Geschwindigkeiten in einer kräftefreien Driftstrecke, und die Teilchen kommen gemäß ihren Massen nacheinander am Detektor an – zunächst die leichten und später die schweren: So entsteht ein Massenspektrum. Bei den meisten Flugzeitmassenspektrometern beschränken sich die Driftstrecken auf etwa einen Meter Länge. Beim ISOLTRAP-Spektrometer wird aber ein Trick angewendet: Die zu untersuchenden Teilchen werden zwischen zwei „Ionenspiegeln“ mehrere hundert bis tausend Mal hin und her reflektiert. So können in der Messapparatur trotz einer Länge von nur einem Meter kilometerlange Driftstrecken erreicht werden. Und dieses „Ionen-Pingpong“ dauert nur wenige Millisekunden – ein weiterer Vorteil gegenüber alternativen Methoden der Massenmessung. (siehe auch: Medieninformation „Mit Ionen-Pingpong Kräfte in Atomkernen sichtbar gemacht“ http://idw-online.de/de/news539615)

Begleitend zu den ISOLTRAP-Experimenten haben Kollegen in Frankreich, Großbritannien und Kanada theoretische Untersuchungen zu den Kaliumkernen durchgeführt. Auch hierbei gab es im Vergleich zum Calcium vor zwei Jahren neue Herausforderungen, insbesondere aufgrund der ungeraden Protonenzahl. Die jetzt verwendeten neuesten Berechnungsmethoden, die auf sogenannten Gorkov-Green-Funktionen basieren, führten zu einer guten Übereinstimmung mit den Messwerten.

Mit den bisherigen Experimenten sind die Untersuchungen der magischen Neutronenzahl N=32 bei weitem noch nicht abgeschlossen. Insbesondere besteht ein großes Interesse an Messungen bei Scandium und den nächsten Nachbarelementen. Darüber hinaus darf man auf Meldungen von weiteren neuen magischen Zahlen in anderen Bereichen der Nuklidkarte gespannt sein.