VON BIANCA WIEDEMANN |
01.04.2015 10:49
Innovation an der Scheibe
Informatiker der Universität Jena entwickeln Kamera-basierte Punktewertung für professionelle Steeldartscheiben
Das Jahr 2015 war gerade vier Tage alt, als sich Gary Anderson im Finale der Dart-Weltmeisterschaft gegen die Dart-Legende Phil Taylor – „The Power“ genannt – durchsetzen und seinen ersten WM-Titel erringen konnte. Insgesamt 19 Mal schallte die „180“ für Anderson durch die Halle, wenn er das Maximum von 180 Punkten traf – mit allen drei Darts die Triple-20. Doch was im legendären Londoner „Ally Pally“ (Alexandra Palace) die Caller (Ansager) lautstark über ein Mikrofon verkünden, müssen Dart-Spieler außerhalb der internationalen Wettbewerbe selbst übernehmen – das Punktezählen. Die meisten Freizeit-Darter spielen in Kneipen oder im heimischen Hobbyraum mit sogenannten Softdarts auf Automaten oder E-Dartscheiben, die über eine elektronische Punktewertung verfügen. Diese zählen im Standardmodus von 501 rückwärts je nach geworfener Punktzahl bis auf Null herunter. Profis hingegen spielen in der Regel auf die traditionellen Steeldartscheiben, die aus Sisalfasern gefertigt sind und nicht über das elektronische Zählwerk verfügen.
Informatiker der
Friedrich-Schiller-Universität Jena haben für genau diese Lücke jetzt eine Lösung gefunden. „Um solchen professionellen Spielern trotzdem die Funktionalität zu ermöglichen, die eine elektronische Dartscheibe bietet, hatten wir die Idee einer Kamera-basierten Analyse“, sagt Alexander Freytag vom Institut für Informatik. Gemeinsam mit dem Lehrstuhlinhaber für Digitale Bildverarbeitung, Prof. Dr. Joachim Denzler, übertrug er diese Idee, die von einem externen Kollegen an die Informatiker herangetragen wurde, in ein studentisches Projekt. Der Master-Student Christopher Manthey versuchte im vergangenen Wintersemester, dieses Ziel unter Verwendung einer einzigen Kamera algorithmisch zu lösen und hatte damit Erfolg. Das Ergebnis ist eine Software, die im Schnitt vier von fünf geworfenen Darts nicht nur korrekt erkennt, sondern auch die entsprechende Punktzahl ermittelt.
Die Kamera ist dabei bewusst nicht frontal positioniert – denn hier steht der Spieler –, sondern seitlich ausgerichtet. Das von der Kamera übertragene Bild wird permanent überprüft. Findet eine Veränderung statt, startet eine Auswertungsroutine, die den Bereich im Bild ermittelt, in dem die Veränderung stattgefunden hat. „Der Dartpfeil und die Ebene der Scheibe bilden einen Schnittpunkt, dieser wird erfasst und anschließend bewertet“, sagt Manthey. So sei es möglich, auch die Felder die doppelt oder dreifach zählen in der Punktewertung zu berücksichtigen.
„Die Spitze des Pfeils zu erkennen, ist eine große Herausforderung für den Computer, denn er erkennt nur eine gewisse Anzahl an Pixeln“, so Lehrstuhlinhaber Denzler. Umso erfreuter ist er über die Leistung des angehenden Informatikers: „Ein so gutes Ergebnis hatten wir noch nicht, seit wir diese praxisbezogenen Module am Lehrstuhl anbieten.“
Während für Manthey mit dem Ende des Semesters auch erst einmal die Mitarbeit endet, geht es für das Projekt weiter. Denn ein externer Partner hat Interesse am Produkt bekundet. Ziel ist es, zunächst den Freizeitsportlern, die eine Steeldartscheibe verwenden, die elektronische Messung zu ermöglichen. Das sollte mit der entsprechenden Software sogar mit einer ganz einfachen Kamera – wie sie viele Laptops haben – zu Hause möglich sein. Elektronische Dartscheiben eröffnen zudem zusätzliche Spielvarianten – „auch da sehen wir Anwendungsmöglichkeiten“, sagt Prof. Denzler, der künftig weiter mit Studierenden am Projekt arbeiten wird. Im Sommersemester 2015 findet das „Anwendungspraktikum Intelligente Systeme“ statt, das im Bachelor-Studiengang Informatik belegt werden kann. Die Betreuung übernimmt wieder Alexander Freytag, der gemeinsam mit Denzler plant, die Qualität der Erkennung durch die Kamera zu verbessern. „Die Software müsste robuster werden, um mit der Verdeckung zweier Pfeile, die sehr nah beieinander liegen oder anderen Störungen umgehen zu können“, so der Entwickler Christopher Manthey. Weiterhin wird das Dart-Projekt im Wintersemester 2015/16 in die Pflichtveranstaltung im Bachelor-Projekt (3. Semester) einfließen. Die Studierenden versuchen dann in Gruppen- und Projektarbeiten, eine erweiterte „Software“, d. h. Nutzeroberfläche, zu entwickeln, um verschiedene Spiel-Modi mit mehreren Spielern zu ermöglichen.
Dass die Technik in absehbarer Zeit die Caller im „Ally Pally“ ersetzen kann, ist zwar eher unwahrscheinlich. Für alle anderen (semi-) professionellen Dartspieler dürfte die Software der Jenaer Informatiker aber ein Gewinn sein – und das auf allen Ebenen.