VON DR. SUSANNE LANGER |
24.11.2014 14:44
Mehr Tierschutz in der Tumorforschung
Thorsten Stiewe erhält Hessischen Tierschutz-Forschungspreis 2014
Aus den Händen der Umweltministerin Priska Hinz nahm Professor Dr. Thorsten Stiewe in Wiesbaden den Hessischen Tierschutz-Forschungspreises 2014 für seine Arbeitsgruppe entgegen. „Wir freuen uns, in Hessen kluge Köpfe zu haben, die mit hervorragenden Ideen dazu beitragen, die Zahl der Tierversuche und das Leiden von Versuchstieren zu verringern. Ihre Leistungen wollen wir entsprechend öffentlich würdigen, nicht zuletzt auch als Ansporn für andere“, sagte Umweltministerin Priska Hinz während der Preisverleihung.
Die Jury, der die Landesbeauftragte für Tierschutz sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Hochschule und Industrie, Behörden und Tierschutzorganisationen angehören, hat sich nach intensiven Beratungen dafür entschieden, den Preis 2014 an zwei Personen zu vergeben. Neben Stiewe wird auch Dr. Stefan Weigt von der Darmstädter Firma Merck ausgezeichnet.
Prof. Dr. Thorsten Stiewe sowie die beiden Promovierenden Joël Charles und Jeannette Fuchs von der
Philipps-Universität Marburg arbeiteten über eine „Methode für das Monitoring von transplantierten Tumoren in Mäusen“ und überzeugten damit die Jury. Das Team darf sich über ein Preisgeld von 10.000 Euro freuen. Die in der preisgekrönten Veröffentlichung vorgestellte Methode ermöglicht eine deutliche Reduzierung von Tierversuchen in der Tumorforschung. Zudem wird die Belastung der Tiere erheblich reduziert. "Unser neues Verfahren ermöglicht es nämlich, tierschonend das therapeutische Ansprechen zweier unterschiedlich mutierter Tumore nebeneinander in nur einem Tier, also unter identischen Umgebungsbedingungen, zu vergleichen", erläuterte der Preisträger. Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause lobte Stiewes Wettbewerbsbeitrag: „Besonders freut mich, dass erstmals die aktiven Bemühungen einer Marburger Arbeitsgruppe um Tierschutz in der Forschung vom Land Hessen ausgezeichnet wurden.“
Die neue Methode setzt zum einen daran an, dass zwei unterschiedliche Tumorzellenpopulationen in nur einem Tier – statt wie bisher üblich zwei - minimal-invasiv und mengenmäßig verglichen werden können. Die Tumorzellen werden dabei mit künstlichen Markern versehen, sogenannten Luciferasen, wie sie zum Beispiel aus Glühwürmchen bekannt sind. Es handelt sich dabei um Enzyme, die Substanzen unter Lichtproduktion umsetzen. Die Lichtintensität steht dabei in Zusammenhang mit der Luciferasemenge. Für die Messung der Luciferase genügt ein einziger Blutstropfen aus der Schwanzvene der Mäuse.
Auf eine weitere Halbierung der Versuchstiermenge zielt eine verminderte experimentelle Varianz ab. Wenn zwei verschiedene Tumorzellen in separaten Tieren untersucht werden, wirkt sich ein schlechteres Tumorwachstum in einzelnen Tieren nur auf das Ergebnis einer Tumorzellart aus. Diese erhöhte experimentelle Varianz muss bei herkömmlichen Methoden durch eine erhöhte Tierzahl kompensiert werden. Bei der Analyse von zwei Tumorzellarten in einer Maus wirkt sich ein schlechtes Tumorwachstum in einem Einzeltier jedoch immer gleichzeitig auf beide Tumorzellpopulationen aus und macht damit die Verwendung eines Vergleichstiers unnötig. Stiewes Arbeitsgruppe hat somit gezeigt, dass mittels der vorgestellten Methode bei gleicher statistischer Signifikanz und Power die benötigte Tierzahl häufig um drei Viertel reduziert werden kann.
Insgesamt zeigt Stiewes Arbeit, dass in Blutproben quantifizierbare Luciferasen ein verlässliches Maß für die Gesamttumorzellmasse in einer Maus sind. Damit entfallen die bisherigen technisch aufwendigen und teuren Untersuchungen mittels bildgebender Verfahren. Dies reduziert insbesondere auch die Belastungen für die Tiere, etwa durch wiederholte Narkosen. Die Verwendung der Luciferasen bietet darüber hinaus noch den Vorteil, dass sie sensitiver sind als das bislang übliche Betrachten und Befühlen der wachsenden Tumore. Untersuchungen zu Tumorwachstum-Therapie könnten also zukünftig sowohl mit einem Viertel der bisher üblichen Tiermenge als auch in einem früheren und somit das Tier weniger belastenden Stadium durchgeführt werden.
„Wir dürfen nicht nachlassen, nach weiteren Ansätzen zur Vermeidung von Tierversuchen oder zur Minderung von Schmerzen und Leiden zu suchen, und diese Methoden dann auch in die breite Anwendung zu bringen“, machte Umweltministerin Priska Hinz bei der Preisverleihung deutlich. Stiewe erklärte: „Aus meinem Ethikverständnis als Forscher heraus ist es sehr wichtig, nicht nur Forschungsergebnisse zu erzielen, die nachweislich den Tierverbrauch und die Belastung für die Tiere absenken helfen, sondern diese auch der scientific community möglichst breit zur Verfügung zu stellen. Daher haben wir die Arbeit open access publiziert und ein für Wissenschaftler frei über Addgene zu erhaltendes Vektor-Toolkit für das Verfahren bereitgestellt.“ Die Tumorforschung sei auf das Tiermodell angewiesen, weil nur im lebendigen Wechselspiel der genetisch veränderten Tumorzellen und der normalen Körperzellen die nötigen aussagekräftigen Erkenntnisse über Wachstum, Progression, Metastasenbildung und Therapieansprechen gewonnen werden könnten. Um im Sinne einer personalisierten Medizin für einen einzelnen Patienten eine Therapie nach Maß entwickeln zu können, müsse die Wissenschaft zunächst verstehen lernen, welche Mutationen den Tumor auf welche Weise beeinflussten, erläuterte Stiewe.
Der Tierschutz-Forschungspreis des Landes Hessen wurde bundesweit erstmalig in seiner Art 2005 ins Leben gerufen. Mit dem Preis werden gezielt wissenschaftliche Arbeiten von in Hessen tätigen Personen oder Einrichtungen ausgezeichnet, die einen besonderen Beitrag zur Vermeidung oder Verminderung von Tierversuchen oder ähnlichen Eingriffen oder Behandlungen leisten. Der Preis, der mit insgesamt 15.000 Euro dotiert ist, soll dazu beitragen, die Anzahl und das Leiden von Versuchstieren in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre sowie bei der Herstellung biomedizinischer Produkte zu verringern. Teilnahmeberechtigt sind Personen oder Personengruppen, die in Hessen wissenschaftlich tätig sind sowie in Hessen ansässige wissenschaftlich tätige Firmen und Einrichtungen.