VON ANDREA WEIPPERT |
19.08.2014 09:40
Akademie der Dinge in Dresden
Die Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK) begeht im Jahr 2014 den 250. Jahrestag ihrer Gründung. Auf Einladung der Kunstakademie in Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden wird aus diesem Anlass der international renommierte Installationskünstler Mark Dion erstmalig ein Projekt in Dresden realisieren.
Ausgangspunkt für Mark Dions (*1961, USA) bislang größte Einzelausstellung in Deutschland sind jene Dinge, die in den Sammlungen beider Dresdner Institutionen verborgen sind. Das Gesamtwerk des documenta‐Teilnehmers reicht von Zeichnungen und Grafikfolgen über Videobänder, Fotoessays, Skulpturen, Installationen und Dioramen bis hin zu Expeditionsreisen. Dafür arbeitet Mark Dion weltweit mit Museen und Sammlungen zusammen und macht in seiner künstlerischen Praxis diesen Autoritäten des Wissens die alleinige Interpretationshoheit streitig.
Auch in Dresden durchforstet Dion die Depots und Archive der weltberühmten Einrichtungen, um tradierte Ordnungssysteme zu befragen, mit denen Objekte aus der ganzen Welt gesammelt und präsentiert werden. Dafür transformiert der Künstler vermeintlich festgeschriebene Klassifikationen und stellt historische Sammlungskontexte zur Diskussion, indem er die Gegenstände der Sammlungen in komplexen Installationen neu anordnet. Aus seinen Expeditionen in diese sonst unsichtbaren Speicher entsteht so an drei Ausstellungsorten – dem Grünen Gewölbe, dem Albertinum und den hochschuleigenen Ausstellungsräumen im Oktogon – eine Akademie der Dinge, in der die Schätze der Institutionen neu in den Blick genommen werden.
Für Mark Dion, der selbst passionierter Sammler von Dingen aller Art ist, birgt die Sammlung der Kunstakademie Dresden mit ihrer nahezu enzyklopädischen Vielfalt einen umfangreichen Fundus. Die Bildersammlung der HfBK mit über 1500 Objekten – darunter wertvolle Gemälde von Casanova, Kügelgen oder Matthäi und eine zehntausende Blätter zählende Sammlung von Studienarbeiten – repräsentieren die künstlerischen Tätigkeiten aus mehr als 250 Jahren.
Academy of things: The temporary art gallery
Im Oktogon der Hochschule wird diesen Kunstwerken eine temporäre Pinakothek eingerichtet. Das Hauptinteresse liegt auf den zahlreichen Artefakten aus dem Lehrbetrieb – Gipsabgüsse, Glasdiapositive, Pigmente oder Röntgenbilder. Höhepunkt dieser Lehrmittelsammlungen sind die einzigartigen anatomischen Modelle und Präparate zur Human‐ und Tieranatomie: Mit über 500 Objekten besitzt die Kunsthochschule Dresden die umfangreichste und vollständigste Lehrsammlung in Deutschland. Mark Dion rückt diese Sammlung und ihre ideologischen Implikationen in den Fokus des Projekts und wird die bislang nur in Teilen öffentlich zugänglichen Modelle zur Diskussion stellen. Mit seiner interdisziplinären Arbeitsweise macht der Künstler die Geschichte(n) der Exponate, aber auch ihre Verluste durch Kriege oder Reformen im Unterrichtsbetrieb sichtbar. Innerhalb dieser institutions‐ und ideologiekritischen Feldforschungen, in denen auch die mitunter eigensinnigen Bedeutungen der Dinge evident werden, geht es darum, die Kunstakademie als Ort künstlerischen Handelns und als Impulsgeber für nicht‐museale und abwegige Ausstellungsformen in Erscheinung treten zu lassen.
New Curiosities for the Green Vault
Zwei Satelliten des Projekts werden sich auf unterschiedliche Weise mit den Gegenständen des Museums, ihren Vergangenheiten und Ordnungen beschäftigen. Für das Historische und das Neue Grüne Gewölbe – der erst vor wenigen Jahren wiedereröffneten spektakulären Schatzkammer Dresdens – greift Dion das Konzept des Kuriositätenkabinetts auf. Es entstehen neue Objekte, die inmitten der historischen Inszenierung in der ständigen Präsentation im Schloss gezeigt werden. Mit diesen „New Curiosities for the Green Vault“ zieht die Dingwelt des Alltags in das fürstliche Kuriositätenkabinett ein und es entsteht die Frage, ob Wunder und Staunen noch gültige Kategorien
für die Rezeption der materiellen Kultur einer industrialisierten Welt darstellen.
Wild Animal Salon
Im Albertinum, dem Domizil der Galerie Neue Meister und der Skulpturensammlung, richtet Mark Dion einen „Wild Animal Salon“ ein, eine Bestandsaufname der in der Sammlung vorhandenen Gemälde wilder Tiere von der Frühen Neuzeit bis in das 20. Jahrhundert. Der Künstler kommentiert in seiner Praxis immer wieder das 19. Jahrhundert und seine Ordnung der Dinge. Deshalb findet sich in diesem außergewöhnlichen Salon – statt der damals hoch angesehenen Gattung des Portraits und des Historienbildes – ausschließlich das im akademischen Diskurs lange marginalisierte Genre der Tierdarstellung. Durch diese Auswahl befragt der Künstler das Kategorisieren in musealen
Sammlungen. Dabei wird deutlich, dass innerhalb von kuratorischer wie künstlerischer Praxis schon immer das Verhältnis von Mensch und Tier und von Kultur und Natur – mithin ökologische Fragen – ausgehandelt wurden.
Die drei künstlerischen Experimente im Oktogon der HfBK Dresden, im Grünen Gewölbe und im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sollen neue Zugänge für den zukünftigen Umgang mit den ausgestellten Gegenständen erschließen. Wie können Dinggeschichten sichtbar gemacht werden? Welchen Status haben beschädigte oder ruinöse Objekte? Welche Neuordnungen sind denkbar? Und welchen Status spielt die materielle Kultur vergangener Jahrhunderte
in der Lehre der Gegenwart? Die Dinge und die Orte der Kunst sind im zeitgenössischen Kunstsystem untrennbar miteinander verbunden. Allerdings dienen die Sammlungsgegenstände
nicht mehr der Bestätigung vorhandenen Wissens, sondern eröffnen neue Felder des Möglichen. Für Mark Dions „Akademie der Dinge“ werden die Räume der teilnehmenden Institutionen verwandelt und die Geschichten der Objekte aus einer künstlerischen Perspektive neu erzählt.
Der Künstler Mark Dion
Mark Dion wurde 1961 in New Bedford, Massachusetts, geboren und lebt in New York. Er ist Direktor der alternativen Kunstschule „Mildred’s Lane“, Pennsylvania, und hatte Einzelausstellungen in renommierten Museen, etwa in der Tate Britain (2000), im MoMA (2004), im Miami Art Museum (2006), der Kunsthalle Krems (2009) sowie im Musée Océanographique (2011). Dion nahm an zahlreichen Gruppenausstellungen, unter anderem an den Skulptur Projekten Münster (1997), der Biennale of Sydney (2008) und der documenta 13 in Kassel (2012), teil. Seine Ergebnisse präsentiert Dion in ortssensiblen, musealen Installationen, die zwischen Jahrmarktsattraktion und Dokumentation changieren. Mark Dion ist Künstler, leidenschaftlicher Naturforscher und Sammler, der immer neue Kuriositäten und faszinierende Wissensdinge der Vergangenheit zutage fördert. Zugleich sind seine komplexen Installationen von einem spielerischen Skeptizismus gegenüber der Autorität von Institutionen geprägt. Diese künstlerische Strategie macht ihn zu einem der wichtigsten
Vertreter der Institutionskritik.
Konferenzen
Begleitet wird die dreiteilige Ausstellung von zwei wissenschaftlichen Konferenzen. Vom 26. bis 28. November 2014 lädt die Kunstakademie zu einem internationalen Symposium über die Anatomische Sammlung ein. Die Anfänge der künstlerischen Anatomielehre in Dresden liegen bereits in der Gründungsphase der Akademie. Der Maler Giovanni Casanova (1730‐1795) erwarb kurz nach seiner Berufung das erste menschliche Skelett. Zum herausragenden Bestand der Sammlung gehören 14 sogenannte Bänderskelette in antiken Posen. Restauratoren, Kulturwissenschaftler und Künstler diskutieren gemeinsam über Erhaltungsinitiativen, Möglichkeiten einer zukünftigen Nutzung und die Gestaltung eines möglichen Museums.
Die zweite Veranstaltung: „Curiosity 2.0. Die Wunderkammer in der zeitgenössischen Kunst“ widmet sich zum Ende der Ausstellung vom 16. bis 17. Januar 2015 kritisch den zahlreichen Bezugnahmen zeitgenössischer Kunst und Kunstkritik auf Wunderkammern. In den Blick geraten die Auswirkungen dieser Auseinandersetzung auf museale Präsentationsformen. Die Konferenz wird in der Kapelle des Dresdner Residenzschlosses in unmittelbarer Nähe zum Grünen Gewölbe stattfinden. Durch diese Ortswahl – im Herzen der Stadt – sollen beide Veranstaltungen für eine breite Öffentlichkeit zugänglich sein.