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VON UTE SCHÖNFELDER  |  07.03.2014 11:17

Die 53 Farben des Himmels

Wissenschaftshistoriker der Universität Jena starten interdisziplinäres Forschungsprojekt zu Farben und ihrer Bedeutung in der Wissenschaft

Welche Farbe hat der Himmel? Blau, natürlich, doch welches? Dass Blau nicht gleich blau ist, demonstriert André Karliczek von der Friedrich-Schiller-Universität Jena anhand eines sogenannten Cyanometers: 53 verschiedene Farbtöne enthält die kleine runde Scheibe, mit der sich der jeweils exakte Blauton des Himmels bestimmen lässt. „Erst durch möglichst genaue Farbbeschreibungen – so die zeitgenössische Vorstellung – lassen sich Wetterdaten sinnvoll dokumentieren und Wetterphänomene vorhersagen“, erläutert der Wissenschaftshistoriker den Zweck dieses historischen Messgerätes aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert.

Welche Bedeutung Farben insgesamt bei der Beschreibung von Naturphänomenen sowie als wissenschaftliche Messgrößen während der zurückliegenden zwei Jahrhunderte hatten, das wollen Jenaer Wissenschaftshistoriker in einem gerade gestarteten Forschungsprojekt zusammentragen. Unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Olaf Breidbach geht das Team vom Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik – Ernst-Haeckel-Haus – in den kommenden drei Jahren vor allem der materiellen Seite der Farben nach. „Wir wollen verstehen, wie sich das Verständnis von Farbe und ihrer Einsatzmöglichkeiten in den Wissenschaften gewandelt haben und wodurch die Wandlungen hervorgerufen wurden“, erläutert Projektmitarbeiter Karliczek. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt das Jenaer Vorhaben im Rahmen des Verbundprojekts „Farbe als Akteur und Speicher. Historisch-kritische Analyse der Materialität und kulturellen Codierung von Farbe“ (FARBAKS) mit mehr als hunderttausend Euro. Neben den Jenaer Wissenschaftlern sind auch Partner an der TU Dresden, der Hochschule für Bildende Künste Dresden und der Fachhochschule Köln am Gesamtprojekt beteiligt.

In ihrer Arbeit wollen die Forscher den Zeitraum vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis heute untersuchen und nehmen dabei vor allem Neuentwicklungen in den Blick: Etwa die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommenden sogenannten Teer- oder Anilinfarben. „Diese haben zum einen das verfügbare Farbspektrum immens erweitert“, macht Karliczek deutlich. Zum anderen sei es nun erstmals möglich geworden, definierte Farben reproduzierbar zu synthetisieren und damit auf materieller Seite als allgemeingültige Referenzen zu nutzen. „Das brachte Farben als Messgröße zur Analyse von chemischen Substanzen sowie als diagnostisches Instrument in der Medizin ins Spiel“, nennt Karliczek Beispiele. Bis heute basieren zahlreiche Nachweisverfahren der Labormedizin auf bestimmten Färbungen und werden chemische Verbindungen anhand spektroskopischer Verfahren analysiert, so der Nachwuchswissenschaftler weiter.

Daneben werden sich die Forscher auch mit der Verfügbarkeit von Farben und ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rolle befassen. So galten bestimmte Farben schon immer als Statussymbol: Purpur etwa, der Farbstoff der aus der Purpurschnecke gewonnen wurde, war im alten Rom sehr kostbar und nur den Senatoren vorbehalten. Und die im 19. Jahrhundert einsetzende industrielle Produktion von Anilinfarben entwickelte sich zu einem mächtigen Wirtschaftszweig, aus dem einflussreiche Firmen und Wirtschaftsverbünde, wie die IG Farben, hervorgingen.

In ihrem jetzt gestarteten Projekt werden die Jenaer Forscher nicht nur historische Quellen studieren und im interdisziplinären Austausch mit den anderen Projektpartnern analysieren. „Wir wollen auch experimentell arbeiten und beispielsweise historische Experimente reproduzieren“, kündigt André Karliczek an. Zudem seien jährliche Tagungen und öffentliche Ausstellungen geplant.