VON AXEL BURCHARDT |
23.10.2013 10:12
Der Geschmack der Demokratie
Historiker der Universität Jena leitet neuen interdisziplinären Forschungsverbund „PolitCIGs“, der die politische Kulturgeschichte der Zigarette untersucht:
Die Augen zusammengekniffen, den Hut weit ins Gesicht geschoben: Betont lässig zündet sich der Marlboro-Mann eine Zigarette an. Der Macho im Cowboy-Outfit ist längst nicht der erste Kerl, der eine Werbebotschaft unters Volk brachte. In den 1930er Jahren warb ein grimmig aussehender SA-Mann in Uniform für die NS-Zigarette „Trommler“. Der politische Gegner, die „Eiserne Front“ der Sozialdemokratie, empfahl stattdessen die Marken „Freiheit“ und „Disziplin“.
„Zigaretten können durch ihre Symbolik, durch ihren Geruch und durch ihren Gebrauch, versteckt politische Inhalte vermitteln, ja sogar politische Botschaften beglaubigen“, sagt Prof. Dr. Rainer Gries von der Universität Jena. Der Historiker und Kommunikationswissenschaftler leitet den Forschungsverbund „PolitCIGs – Die Kulturen der Zigarette und die Kulturen des Politischen. Zur Sprache der Produkte im 20. und 21. Jahrhundert“, der jetzt seine Arbeit aufgenommen hat.
Bei „PolitCIGs“ kooperieren die Friedrich-Schiller-Universität Jena, das Museum der Arbeit Hamburg und die Sigmund Freud PrivatUniversität Wien. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördert den Verbund mit rund einer Million Euro im Rahmenprogramm „Die Sprache der Objekte: Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen“ für zunächst drei Jahre. Die Wissenschaftler aus Jena, Hamburg und Wien fragen danach, ob und wie politische Kulturen gestützt werden, wenn Individuen, soziale Gruppen, Milieus, Generationen oder ganze Gesellschaften über Zigaretten kommunizieren. „Es geht uns um nichts weniger als die Kulturgeschichte der Zigarette vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis heute“, sagt Rainer Gries. Zunächst mit Konzentration auf Westdeutschland, die DDR und Österreich.
In einer ersten Projekt-Phase wollen die Wissenschaftler das offen Politische in den Blick nehmen. Arbeitstitel: „Die Zigarette im Ersten und Zweiten Weltkrieg.“ Danach steht das Rauchen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute im Fokus. Mit dem Sieg der Alliierten über Deutschland habe es tiefgreifende Verschiebungen gegeben, konstatiert Gries. Als Beispiel für eine subtile politische Botschaft der Zigarette nennt er den Wechsel der Tabaksorten nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals lösten leichtere und hellere American-Blend-Tabake die dunkleren und stärkeren Orient-Tabake ab. Mit dem neuen Tabak änderten sich die Symbolwelten des Rauchens radikal: Die Zigarette wurde jetzt nicht mehr mit einer verklärten Exotik „des Orients“ verknüpft, sondern mit den kulturellen und politischen Horizonten der Vereinigten Staaten. Die Zigarette wurde zu einer transatlantischen Brücke.
Für ihre Forschungsarbeit können die Wissenschaftler buchstäblich aus dem Vollen schöpfen: Ihnen stehen die Reemtsma-Archive im Museum der Arbeit zur Verfügung. Dazu zählen etwa 3.500 Werbeplakate, rund 25.000 Anzeigenmotive von Reemtsma und Konkurrenzunternehmen sowie ungefähr 20.000 Zigarettenpackungen. „Dieser Schatz wartet darauf, gehoben zu werden“, sagt Rainer Gries.
Gemeinsam mit Historikern, Kommunikationswissenschaftlern und Psychologen soll im Verbund „PolitCIGs“ über Fachgrenzen hinweg nach neuen Methoden und Zugängen der wissenschaftlichen Arbeit mit unseren Dingkulturen gesucht werden. Für Rainer Gries von der Universität Jena ist die Entwicklung innovativer, transdisziplinärer Methoden eine zentrale Zielstellung des Forschungsverbundes. Außerdem soll eine interaktive Online-Präsentation entstehen, die die politische Kulturgeschichte der Zigarette in (West-)Europa nachvollziehbar machen wird.
Weitere Informationen unter:
politcigs.uni-jena.de.