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VON AXEL BURCHARDT  |  19.08.2013 08:53

Geschichte selber denken

Geschichte findet man nicht nur in Lehrbüchern. Die Vergangenheit begegnet uns auf Schritt und Tritt: etwa bei Spaziergängen, die an Denkmälern vorbeiführen, beim Besuch eines Museums oder der Zeitungslektüre, etwa wenn der NSA mit der Stasi verglichen wird.

Es sind auch diese aktuellen Anlässe, für die Prof. Dr. Anke John von der Universität Jena ihre Studierenden sensibilisieren will. Die jüngst ernannte Professorin für Geschichtsdidaktik will die Lehramtsstudierenden dazu bringen, „zum Jäger und Sammler von Geschichte zu werden“. In ihrem Beruf sollten sie Kinder und Jugendliche befähigen können, „Geschichte wahrzunehmen und eigenständig zu beurteilen“. Es gibt im Geschichtsunterricht letzten Endes kein Richtig oder Falsch, betont sie, sondern nur plausible Erklärungen zu benoten, weil sowohl die eigenen Lebenserfahrungen als auch die Gegenwart das Geschichtsverständnis des Einzelnen beeinflussen.

Das selbstentdeckende Lernen will die 45-jährige gebürtige Rostockerin „möglichst praxisnah“ vermitteln und setzt dabei auch auf die Förderung und Organisation von Geschichtswettbewerben. Auch als Mutter zweier Kinder kennt sie die veränderten Gewohnheiten der Heranwachsenden. Da das Internet und mobile Endgeräte längst zum Alltag gehören, muss sich auch der Geschichtsunterricht darauf einrichten. Prof. John erprobt daher, wie sich die neuen Medien im Unterricht einsetzen lassen. Da eine „historische Online-Kompetenz“ von Lehrerinnen und Lehrern unentbehrlich ist, setzt sie sich dafür ein, an der Friedrich-Schiller-Universität stärker auf Blended-Learning zu setzen, das sie an der Universität in Rostock bereits erfolgreich praktiziert hat.

In Rostock hat Anke John Geschichte, Deutsche Sprache und Literatur studiert – vor und nach der Wende, so dass sie zwei sehr unterschiedliche Lehrer-Ausbildungssysteme erlebt hat. Fragen der Geschichtsvermittlung gehören seither zu ihren zentralen Forschungsfragen. Ihre Doktorarbeit, die sie 1996 fertiggestellt hat, ist eine vergleichende Studie zur Entwicklung der mecklenburgischen Staaten im 19. und 20. Jahrhundert. Sie analysierte, warum dort keine moderne Verfassung durchgesetzt werden konnte, sondern die Großherzogtümer nach den Regeln des 18. Jahrhunderts regiert wurden. In ihrer Habilitation von 2009 stand „Der Weimarer Bundesstaat“ im Mittelpunkt und die Frage: Welche Berechtigung hatten kleine Länder wie Waldeck oder Thüringen? Die Föderalismus-Diskussion, die vor 80 Jahren geführt wurde, habe dabei eine Reihe von Argumenten hervorgebracht, die bis heute diskutiert werden. Zurzeit entsteht ein Buch zum regionalgeschichtlichen Lernen, das im kommenden Jahr erscheinen soll.

Nach einer zweijährigen Vertretung der Didaktikprofessur hat Anke John den Ruf an die Friedrich-Schiller-Universität gerne angenommen, da sie „von der positiven Struktur der Jenaer Lehramtsausbildung mit dem frühen Praxissemester“ beeindruckt ist. Zudem finde sie in Jena zahlreiche Partner für ihre Forschungsthemen, zu denen die Raumgebundenheit von Geschichtsbewusstsein, mündliche Kommunikationsformen und der mediale Wandel historischen Lernens gehören. Die Professur unterstützt auch die Lehrplan- und Schulbuchentwicklung. Nicht zuletzt sieht Anke John in Thüringen gute Möglichkeiten, mit außerschulischen und außeruniversitären Bildungseinrichtungen zu kooperieren, damit ihre Studierenden praktisch erfahren, wie man mit Geschichte auch außerhalb des Klassenzimmers umgehen kann.