DR. UTE SCHÖNFELDER |
04.06.2013 16:01
Wo der Unternehmergeist zu Hause ist
Psychologen der Universitäten Jena und Texas kartieren die Verteilung der unternehmerischen Persönlichkeitsstruktur in den USA, Deutschland und Großbritannien.
Jena (FSU/US) Unternehmerisches Handeln spielt eine wichtige Rolle für die Prosperität heutiger moderner Gesellschaften. Wer aus eigener Kraft ein Unternehmen gründen und es zum wirtschaftlichen Erfolg führen will, braucht mehr als eine gute Idee und den nötigen Sachverstand. Unternehmer zeichnen sich in der Regel auch durch eine ganz besondere unternehmerische Persönlichkeitsstruktur aus. Davon zeugen nicht nur die Chroniken großer Traditionsfirmen sondern mittlerweile auch zahlreiche wissenschaftliche Studien. „Menschen mit einer unternehmerischen Persönlichkeitsstruktur sind eher offen für neue Erfahrungen, eher extrovertiert und gewissenhaft. Auf der anderen Seite sind sie weniger ängstlich und meist ohne Scheu, in Konflikte mit anderen zu geraten“, erklärt Dr. Martin Obschonka von der
Friedrich-Schiller-Universität Jena. Solch eine Persönlichkeitsstruktur falle nicht vom Himmel, sondern sei die Folge von erblichen Faktoren aber auch von gemachten Erfahrungen, so der Psychologe.
Wie Dr. Obschonka jetzt gemeinsam mit seinen Jenaer Fachkollegen Prof. Dr. Eva Schmitt-Rodermund und Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen sowie Prof. Dr. Samuel Gosling von der University of Texas in einer umfangreichen Studie belegt, ist die unternehmerische Persönlichkeitsstruktur geographisch jedoch nicht überall in gleichem Maße zu finden. In der renommierten Fachzeitschrift Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichen sie erstmals „psychologische“ Landkarten der USA, Großbritanniens und Deutschlands, die zeigen in welchen Regionen der Unternehmergeist hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur bevorzugt zu Hause ist (DOI: 10.1037/a0032275).
Für die USA fanden die Forscher heraus, dass besonders viele Menschen mit einer unternehmerischen Persönlichkeitsstruktur in den Western States leben, z. B. in den Bundesstaaten Colorado und Utah. Dagegen ist diese Persönlichkeitsstruktur im Durchschnitt besonders selten im sogenannten Rust Belt („Rostgürtel“) der USA. Die Forscher fanden weiterhin eine deutliche Übereinstimmung der geographischen Verteilung der unternehmerischen Persönlichkeitsstruktur mit der regionalen Verteilung der tatsächlichen unternehmerischen Aktivität (z. B. Zahl der Start-Up-Unternehmen in der Region). „Wir fanden, dass diese psychologische Landkarte tatsächlich mit der wirtschaftlichen Landkarte der USA weitestgehend übereinstimmt“, so Dr. Obschonka.
Ähnliche regionale Unterschiede fanden die Psychologen auch für Deutschland: „Hier liegen Berlin und Hamburg an der Spitze, Brandenburg und Sachsen am Ende der Skala“, sagt Prof. Schmitt-Rodermund. Thüringen finde sich mit Platz 8 im Mittelfeld wieder. „Eine ganz ähnliche Rangfolge erhält man, wenn man sich anschaut, wie die Zahl der Selbständigen in Deutschland verteilt ist“, macht die Psychologin deutlich. In Großbritannien ist es vor allem die Region um London und der Osten Englands, wo besonders viele Menschen mit einer unternehmerischen Persönlichkeitsstruktur leben, während in Schottland, Wales und Nordirland die wenigsten zu Hause sind. Auch hier fand sich eine Übereinstimmung der regionalen Persönlichkeitsverteilung mit der regionalen Verteilung der unternehmerischen Aktivität.
Über die Ursachen für die gefundenen regionalen Persönlichkeitsunterschiede, so das Forscherteam, lassen sich derzeit noch keine gesicherten Aussagen treffen. „Sehr wahrscheinlich spielen aber vor allem in den USA Migrationsprozesse eine große Rolle“, vermutet Prof. Silbereisen. So sei die heutige Konzentration von Menschen mit stark ausgeprägtem Unternehmergeist möglicherweise ein Schatten aus der Vergangenheit: Als es im 19. Jahrhundert die ersten Siedler gen Westen zog, waren das vermutlich eher diejenigen, die die unternehmerische Herausforderung suchten und dies auch an ihre Nachkommen weitergegeben haben. Ähnliches lasse sich auch für Deutschland vermuten: Hier haben nach dem 2. Weltkrieg viele Unternehmer den Osten verlassen und sich im wirtschaftlich prosperierenden Westen neu angesiedelt. Das könnte einer der Gründe dafür sein, warum in den neuen Bundesländern im Schnitt weniger Menschen mit einer Unternehmer-Persönlichkeit leben. Außerdem könnten Sozialisierungsprozesse innerhalb der Regionen eine Rolle spielen. So könnten etwa vorherrschende „unternehmerische“ Werte in der Region die Herausbildung einer unternehmerischen Persönlichkeitsstruktur fördern, z. B. über die Erziehung oder soziale Institutionen. „So erklären wir uns beispielsweise, dass die unternehmerische Persönlichkeitsstruktur gerade im Rust Belt der USA so gering ausgeprägt ist“, erklärt Dr. Obschonka. „Diese von der Massenproduktion geprägte Wirtschaftsregion könnte eher nicht-unternehmerische Werte in der Region gefördert haben, welche sich wiederum über Sozialisierungsprozesse in einer wenig unternehmerischen Persönlichkeitsstruktur niedergeschlagen haben könnten“, so der Forscher weiter.
Für ihre Studie haben die Psychologen Daten zur Persönlichkeit von mehr als einer halben Million US-Bürgern, rund 20.000 Deutschen und etwa 15.000 Briten ausgewertet und sie mit verfügbaren Angaben zur wirtschaftlichen Situation der jeweiligen Region in Beziehung gesetzt. Der nun bestätigte enge Zusammenhang zwischen der Verteilung der unternehmerischen Persönlichkeitsstruktur und der Wirtschaftskraft von Regionen, so die Forscher, sollte bei künftigen politischen und ökonomischen Entscheidungen durchaus berücksichtigt werden.