CHRISTIN HASKEN |
19.04.2013 17:14
Forschung für das Landleben
Das praktische Leben in kleinen Orten und Dörfern gestaltet sich zunehmend schwieriger: Läden schließen, Busverbindungen werden reduziert, Gaststätten stellen den Betrieb ein. Ein Forscherteam bestehend aus Professoren und Studierenden der Hochschule Rhein-Waal erarbeitet nun im Projekt „Smart Villages Lösungen zur Zukunftsfähigkeit des Landlebens“ - zunächst beispielhaft am niederrheinischen Dorf Grieth.
Kleve/Kamp-Lintfort, 19. April 2013: Das Landleben hat es zusehends schwerer: Wo früher die Post, der „Tante-Emma“-Laden und die Bank waren, gibt es nun oftmals nur noch leere Räume. Viele Dorfkneipen schließen ebenfalls, Busse fahren seltener. Für die Bewohner heißt das: Besorgungen, die sie bisher zu Fuß machen konnten, erfordern nun die Fahrt mit dem Auto. Zudem fallen mit den Läden auch Treffpunkte des Ortes weg, an denen der ein oder andere Plausch gehalten wurde. Häufig bleibt nur das aktive Vereinsleben, um das Dorf lebendig zu halten.
Wissenschaftler und Studierende verschiedener Fachrichtungen der Hochschule Rhein-Waal stellen sich im Projekt „Smart Villages - Lösungen zur Zukunftsfähigkeit des Landlebens“ diesen gesellschaftlichen Herausforderungen. Im Förderwettbewerb des Landes für die NRW-Fachhochschulen erhielten sie dafür vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 240 000 Euro. „Mit diesem Fördergeld wollen wir den Forschungsschwerpunkt Smart Villages in der Hochschule aufbauen und festigen, um gemeinsam praktikable Lösungen zu entwickeln“, sagt Prof. Dr.-Ing. Rolf Becker, der Sprecher des Projekts an der Hochschule Rhein-Waal. Die konkreten Lösungsvorschläge werden zunächst am Beispiel des niederrheinischen Dorfs Grieth entwickelt. Die ehemalige Hansestadt gehört, wie weitere umliegende Dörfer, zur Stadt Kalkar. Die Ergebnisse sollen später auf andere Dörfer übertragbar sein.
Studierende starten Untersuchungen im Rahmen des Projekts „Smart Villages“
Seit Beginn des Sommersemesters setzen sich auch Studierende des 4. Semesters im Studiengangs „International Business and Social Science“ (IBSS) der Fakultät Kommunikation und Umwelt in drei studentischen Projektgruppen erstmals mit der Thematik auseinander und gestalten durch ihre Arbeit den Entwicklungsprozess im Projekt „Smart Villages“ aktiv mit.
Ein nachhaltiges Flächenmanagement bildet die zentrale Grundlage zum Erhalt lebenswerter Dörfer. Die studentische Projektgruppe „New concepts of land policy“ analysiert unter der Betreuung von Andrea da Silva, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Wirtschaftspsychologie, zunächst die Ausgangssituation im niederrheinischen Dorf Grieth hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung und dem Flächenverbrauch sowie dem drohenden Leerstand in der Region gegenüber dem Bedarf an Grundstücken. Basierend auf diesen Ergebnissen erarbeiten die Studierenden einen Bericht mit Handlungsempfehlungen.
Eine zweite studentische Projektgruppe zum Thema „Alternative sources of financing for rural development“ untersucht alternative Finanzierungskonzepte für die Regionalentwicklung, da in Zeiten knapper Kassen öffentliche Mittel nur einen Teil der Finanzierung darstellen. Die Analyse konzentriert sich insbesondere auf die neuen Finanzierungsformen „Crowdfunding“ und „Crowdinvesting“, welche gute Ergebnisse bei der Realisierung von künstlerischen und sozialen Projekten ebenso wie Produktideen und Unternehmensgründungen aufweisen. Beim Crowdfunding ergibt eine Vielzahl von kleinen finanziellen Beiträgen von externen Dritten den notwendigen Gesamtbetrag zur Realisierung eines Projektes. Spezielle Internetplattformen präsentieren die Ideen, stellen den Kontakt zwischen Anbieter und Interessierten her und helfen die Finanztransaktionen abzuwickeln. Eine weitere Variante dieser alternativen Finanzierungsform ist das Crowdinvesting. Dabei können sich Anleger mit kleinen Beträgen beispielsweise an kulturellen Projekten, sozialen Vorhaben oder auch an Unternehmensgründungen beteiligen. Die Studierenden stellen sich die Frage, ob Crowdfunding oder Crowdinvesting eine innovative Alternative oder Ergänzung für ländliche Entwicklungsprojekte sein könnte.
Dr. Klaus Hegemann, Vertretungsprofessor für Ethik und Ökonomie an der Hochschule Rhein-Waal, widmet sich gemeinsam mit seinen Studierenden in einem weiteren Projekt dem Thema Seniorengenossenschaften. Wenn ein Mitglied für ältere Menschen einkauft oder sie anderweitig unterstützt, wird dieses auf einer Art „Arbeitszeitkonto“ verbucht. Möchte das Mitglied zu einem späteren Zeitpunkt selbst Hilfe in Anspruch nehmen, kann diese aus den angesparten Stunden „bezahlt“ werden.
Nach erfolgreichem Abschluss der Projekte im Spätsommer werden die Ergebnisse im Wintersemester 2013/2014 in interdisziplinären Projekten wieder aufgegriffen und fließen unter anderem in die Vorbereitung einer geplanten flächendeckenden Umfrage und Bestandaufnahme in 2014 im Dorf Grieth mit ein.
Beispieldorf Grieth
Während an schönen Sommerwochenenden Touristen aus dem Ruhrgebiet auf der Rheinpromenade die Sonne genießen, sind die engen Gässchen in Grieth und der Marktplatz ohne Geschäfte unter der Woche oft wenig belebt. Die letzte „Dorfkneipe“ wurde im vorletzten Jahr geschlossen. Geblieben sind ein Hotel und ein Ausflugsrestaurant, das sich vor allem auf Touristen konzentriert. Feste Einkaufsmöglichkeiten gibt es nicht mehr.
Die Forscher stellen die Menschen in den Mittelpunkt: „Gemeinsam mit den Griether Bürgern und der Stadt Kalkar erarbeiten wir mögliche Zukunftskonzepte. Um eine Anlaufstelle zu bieten und einen Ausgangspunkt für Aktivitäten zu schaffen, richten wir für eine begrenzte Zeit ein Projektbüro im Dorf ein“, erläutert Becker.
Unterstützt werden sie bei ihren Forschungen von der Stadt Kalkar, repräsentiert durch Bürgermeister Gerhard Fonck, Stadtoberbaurat Frank Sundermann und ihrem Team sowie von der Gemeinde Grieth. Die Stadt Kalkar hat parallel ein Dorf-Innenentwicklungskonzept mit einem umfassenden Maßnahmenkatalog erarbeiten lassen. Dieses Konzept beschreibt die aktuelle Situation in Grieth und zeigt sowohl Mängel als auch Entwicklungschancen der Gemeinde auf. Wichtig für die Dorfinnenentwicklung ist die Bevölkerungsmitwirkung. Diese wurde durch die Einladung zu einem Dorfrundgang und darauf folgenden Workshops abgedeckt. In der Folge sind daraus sich regelmäßig treffende Arbeitsgruppen entstanden, welche die im Workshop erarbeiteten Themen weiter bearbeiten. Die Stadt Kalkar und die Projektverantwortlichen von „Smart Villages“ stehen in einem regelmäßigen Austausch.