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VON ANNIKA BINGMANN  |  12.12.2012 16:11

Medizinethik aus der Spielkonsole

Fellowship für Innovationen in der Hochschullehre geht an Ulmer Lehrkonzept

Videospiele statt Lehrbuch: Medizinstudierende der Universität Ulm setzen sich in Zukunft am Computer mit ethischen und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen ihres Fachs auseinander. Für diesen kreativen Ansatz hat Arno Görgen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ulmer Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, eines von bundesweit 15 „Fellowships für Innovationen in der Hochschullehre“ erhalten. Die mit bis zu 50 000 Euro dotierten Auszeichnungen sind – je nach Hochschulstandort – von der Baden-Württemberg Stiftung, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft oder der Joachim Herz Stiftung vergeben worden. Eine Jury aus Fachvertretern, Studierenden und Hochschuldidaktikern hat besonders förderungswürdige, neuartige Lehrformate aus über 200 Bewerbungen ausgewählt.

Für sein Lehrkonzept „Medizin und Medizinethik im digitalen Spiel“ will der Kulturhistoriker Görgen keineswegs neue Videospiele entwickeln. Vielmehr greift er auf etablierte „Games“ zurück, die den Studierenden womöglich bereits bekannt sind: „In den Spielen mit medizinisch-biowissenschaftlichem Schwerpunkt müssen ständig Entscheidungen mit großer Tragweite getroffen werden- zum Beispiel zur Sterbehilfe“, erklärt der Doktorand. Und so könnte sein Blockseminar ablaufen: Nach einer theoretischen Einführung zwischen Medizinethik, Kulturgeschichte und Medienwissenschaften machen sich Studierende an Arbeitsstationen mit Games wie „Anno 1602“ vertraut. In diesem Spiel müssen die künftigen Ärzte zum Beispiel entscheiden, ob sie im Falle eines Pestausbruchs auf einen traditionellen „Medicus“ oder eine „Hexe“ vertrauen. Dahinter verbirgt sich unter anderem die Frage „Homöopathie oder Schulmedizin?“ Wie und ob sie dem von starken Schmerzen geplagten, virtuellen Mensch-Baum-Mutanten „Harold“ beim Sterben helfen, wägen die Studierenden in dem Game „Fallout 3“ ab. Ihre Entscheidungen sollen die Spieler im Anschluss theoretisch einordnen und diskutieren. Die Wahlpflichtveranstaltung richtet sich an Studierende ab dem fünften Semester und entspricht Lehrzielen der aktuellen Ärztlichen Approbationsordnung.

Über die Förderzusage der Baden-Württemberg Stiftung von circa 48 500 Euro für die kommenden zwei Jahre sei er zunächst „verblüfft gewesen“, sagt Arno Görgen. Schließlich hätten sich auch etablierte Professoren um Fellowships beworben. Aus der Fördersumme werden zunächst Rechner angeschafft, an denen Studierende relevante Games auch außerhalb des Seminars testen können. Der Vorteil gegenüber Filmen oder Literatur mit medizinethischem oder -historischem Inhalt: Spielverläufe sind nie gleich und können vom Nutzer individuell gestaltet werden. Im Erfolgsfall wird das Lehrkonzept rund um digitale Spiele womöglich auf andere Fächer übertragen.

Arno Görgen (Jahrgang 1977) hat ein Masterstudium der Europäischen Kulturgeschichte an der Universität Augsburg abgeschlossen. Jetzt promoviert er am Ulmer Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin zu „Medizinethischen und medizinisch narrativen Spielen“. Neben Görgen haben hierzulande Dozenten der Universitäten Freiburg, Konstanz sowie der Zeppelin Universität und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Fellowships erhalten. Bereits im vergangenen Jahr waren Wissenschaftler der Universität Ulm erfolgreich: Mediziner um Dr. Anja Böckers wurden für ihr Lehr- und Lernkonzept „Teach the Tutor“ mit einem Fellowship für Innovationen in der Hochschullehre ausgezeichnet.