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VON INFORMATIONSDIENST WISSENSCHAFT  |  21.05.2012 09:17

Ströme ohne Verluste

Konstanzer Physiker liefern Hinweise für ein besseres Verständnis von Hochtemperatur-Supraleitern

Windparks in der Nordsee, Pläne für riesige Solaranlagen in Nordafrika – während die Technik zur alternativen Energiegewinnung große Fortschritte macht, stellt der Energietransport weiterhin eine immense Herausforderung dar. Insbesondere ist es die Vermeidung großer Energieverluste und hoher Spannungen auf den Transportwegen, die neuartige technologische Ansätze erfordern. Dem Experimentalphysiker Prof. Dr. Alfred Leitenstorfer, Leiter des Centrums für Photonik (CAP) an der Universität Konstanz, ist mit seinem Team und gemeinsam mit Fachkollegen aus der Schweiz und Südkorea ein wichtiger Beitrag hin zu einem besseren Verständnis von Hochtemperatur-Supraleitern gelungen. Eine Materialanalyse mittels extrem kurzer Laser-Impulse brachte Hinweise, dass eine Wechselwirkung zwischen den Gitterschwingungen der Atome und den elementaren Spinrichtungen der Elektronen für den supraleitenden Zustand bei hohen Temperaturen verantwortlich sein könnte. Die Ergebnisse werden in der Ausgabe des Monats Juni von „Nature Materials“ veröffentlicht. Bereits jetzt ist der Artikel in der Online-Ausgabe des Journals nachzulesen.

Supraleitung ist eines der nützlichsten und gleichzeitig eindrucksvollsten Quantenphänomene. Der Effekt zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Ströme vollständig verlustfrei transportiert werden. Bei der Standard-Supraleitung ist diese Leitfähigkeit allerdings mit dem beträchtlichen Nachteil verbunden, dass die Materialien stark herunter gekühlt werden müssen, bis sie den elektrischen Widerstand verlieren – teilweise nahe an den absoluten Nullpunkt. In der Vergangenheit konnte die so genannte Sprungtemperatur, bei der die Supraleiter diesen Zustand erreichen, nur langsam nach oben gesteigert werden, bis hin zur Entdeckung der Kuperate, den auf Kupfer basierenden Hochtemperatur-Supraleitern. Sie erlauben Sprungtemperaturen, bei denen statt Helium der günstigere Stickstoff bis hin zu konventionellen Mitteln zur Kühlung eingesetzt werden können. Allerdings liegt die aktuelle Marke von zirka minus 100 Grad Celsius immer noch weit unter Raumtemperatur.

Der supraleitende Effekt entsteht durch eine anziehende Wechselwirkung zwischen Elektronen, die sich, obwohl sie sich abstoßen müssten, zu so genannten Cooper-Paaren verbinden. Wie es dazu kommt, ist bei den Hochtemperatur-Supraleitern noch weitgehend unverstanden. Von den Standard-Supraleitern ist dagegen bekannt, dass der Effekt auf einer Wechselwirkung zwischen Elektronen über quantisierte Gitterschwingungen, den so genannten Phononen, beruht. Für die Hochtemperatur-Supraleitung reicht diese Erklärung jedoch nicht aus. Es wird vermutet, dass die stark bindenden Cooper-Paare in Hochtemperatur-Supraleitern nicht ausschließlich durch die Elektron-Phonon-Kopplung erklärbar sind.

Am Lehrstuhl von Alfred Leitenstorfer und in der Konstanzer Arbeitsgruppe von Dr. Jure Demsar wurde im CAP eine zur Klasse der Eisenpniktide gehörende Verbindung analysiert – das Ausgangsmaterial, aus dem eine erst vor wenigen Jahren entdeckte neue Klasse von Hochtemperatur-Supraleitern hervorgeht. Leitenstorfer hat soeben einen Ruf als Direktor an das Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle zugunsten seiner Professur für Experimentalphysik an der Universität Konstanz abgelehnt. Im CAP werden die weltweit präzisesten Messungen im infraroten Spektralbereich mit Zeitauflösungen von weniger als einer Lichtschwingung vorgenommen. Mit einem extrem kurzen Laser-Impuls wurde das Kristallgitter des Materials zum Schwingen gebracht. Dieser Prozess ist vergleichbar der Einleitung einer Pendelschwingung durch einen kurzen Hammerschlag. Während dieser Oszillationen mit einer Frequenz von fünf Terahertz, das sind fünf Billionen Schwingungszyklen pro Sekunde, konnten die Physiker eine Kopplung feststellen zwischen der Verzerrung des Kristallgitters und einer wellenförmigen Ordnung der Elektronenspins. „Es ist eine sehr wichtige und überraschende Information, dass mit dieser hohen Frequenz innerhalb extrem kurzer Zeit die Spins ausgerichtet werden, wenn das Kristallgitter auf eine Art und Weise verzerrt wird, die unter Gleichgewichtsbedingungen nicht möglich ist“, kommentiert Alfred Leitenstorfer. Die Stellung der Elektronenspins, der Drehimpulse der Elektronen, gehört ebenso wie die Schwingungsanregung des Atomgitters zu den mikroskopischen Freiheitsgraden eines Festkörpers, aus deren Anregung sich unter anderem auch die Temperatur ergibt.

In den USA wurden bereits drei große Stromnetze, die nicht in Verbindung miteinander standen, auf den kürzesten Entfernungen mit gekühlten Hochtemperatur-Supraleitern verbunden, so dass Überschüsse und Defizite untereinander ausgeglichen werden können. „Der Traum ist, Hochtemperatur-Supraleiter als Kabel einfach im Boden zu verlegen – und zwar ohne aufwändige Kühlung“, sagt Alfred Leitenstorfer. Für die gezielte Entwicklung von Materialien mit den dafür nötigen hohen Sprungtemperaturen wäre aber ein mikroskopisches Verständnis des Effektes von höchster Bedeutung. Die neuen Ergebnisse könnten dazu einen wichtigen Schritt beitragen.