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„Heute Nacht wird – endlich – geschrieben,“ hat Prof. Dr. Joachim Schachtner, Vizepräsident für Qualitäts- und Informationsmanagement, das Motto der ersten Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten an der Philipps-Universität Marburg umrissen. Mit Prokrastination, der allzu menschlichen Neigung, schwierige Aufgaben vor sich her zu schieben, so z. B. das Schreiben von Hausarbeiten im Studium, sei heute Schluss. „Idealerweise gehen Sie heute Nacht mit einigen Seiten produziertem Text nach Hause,“ machte Schachtner den 40 Studierenden, die zu gut einem Viertel Erstsemester sind, in seiner Begrüßung Mut.
Sarah, die im dritten Semester Kunst, Musik und Medien studiert und über ihrer fünften Hausarbeit brütet, legte ihr Problem dar: “Aufschieberitis ist mein Fachgebiet: Ich habe solange ein Motivationsproblem, bis ich ein Zeitproblem bekomme.“ Die Anmeldung zur Langen Nacht sei der erste Schritt zum planvolleren Vorgehen bei den Hausarbeiten. „Häufig steckt hinter einer solchen ‚Aufschieberitis’ allerdings nicht einfach der berühmte innere Schweinehund; viele Studierende fühlen sich – insbesondere zu Beginn ihres Studiums – verunsichert, wie das Schreiben von Hausarbeiten zu bewerkstelligen ist,“ erläuterte Dr. Susanne Duxa, Leiterin des Sprachenzentrums. Sorgen bereite neben Fragen zur Planung, Eingrenzung und Strukturierung des Inhalts vor allem auch der Anspruch, wissenschaftlich zu schreiben.
Hier setzten die Lehrenden des Sprachenzentrums und der Beraterstab aus der Zentralen Allgemeinen Studienberatung (ZAS) an. Sie boten unterstützt von Mitarbeitern der Universitätsbibliothek sowie der Fachbereiche Fremdsprachliche Philologien und Wirtschaftswissenschaften eine Kombination von kurzen Informations-Inputs, praktischen Schreibphasen in der Gruppe und Einzelberatung mit Feedback durch Lehrende oder andere Studierende. Neben zwei Schreibräumen zum gemeinschaftlichen Schreiben gab es Mini-Workshops zu den Themen Literaturrecherche, Schreibbeginn und -prozess, Umgang mit Schreibblockaden, Prinzipien der Textrevision und Hinweise, worauf Lehrende bei den Korrekturen besonders achten. Den ganzen Abend hindurch standen erfahrende Berater und Beraterinnen für individuelle Fragen zu Arbeitsorganisation oder Zeitplanung sowie Textfeedback zur Verfügung. Zum Durchhalten gab es sowohl Getränke als auch Entspannungs- und Konzentrationsübungen. Die liebevolle Versorgung mit „Grünem Tee für einen wachen Geist“ fand ebenso großen Anklang wie das persönliche Coaching: „Bei meinem Prof hätte ich mich mit meinen wenigen geschriebenen Seiten geschämt, hier bei der Schreibberatung traue ich mich zu fragen, wie ich weiterkomme,“ beschrieb Sarah ihre Erfahrung. „Die vielen kleinen Tipps, zum Beispiel Ruhe ins Schreiben zu bringen, sind auch enorm wichtig“, pflichtete ihre Nachbarin bei.
Am Ende der Nacht hatte Sarah zwar nicht ganz die vier Textseiten zur Musikästhetik produziert, die sie sich vorgenommen hatte, aber ihre Fragestellung entscheidend zugespitzt. „Die Erfahrung, dass ich nicht allein bin mit meinem Problem, sondern heute Nacht hunderte Studierende in vielen Städten zu schreiben versuchen, war sehr tröstlich,“ erzählte sie. Dass der Schreibprozess keine Einbahnstraße sei, sondern dialektisch verlaufe als ein Dialog mit sich selbst und in Rückkopplung mit kritischen Lesern ihres Entwurfs, sei ihm nun klarer, warf ein Kommilitone ein. Auch den eingangs erteilten Rat, sich der klugen Köpfe neben sich zu bedienen, hatte Sarah befolgt: „Im Workshop wurden mir wie von selbst die holprigen Stellen in meiner Gliederung klar.“ Professorin Dr. Evelyn Korn, die Initiatorin des Projekts EcoSkills, das am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Schlüsselkompetenzen vermittelt, kennt das Problem: „Dass ein klarer Satz kein Zufall ist, wie William Zinsser es in seinem Schreibratgeber formuliert, weiß ich als Lehrende genau.“ Dahinter stecke selbst bei erfahrenen Schreibern noch immer harte Arbeit. Zur Belohnung verteilte das Initiatorenteam an die ‚letzten Mohikaner und Mohikanerinnen’, die bis Mitternacht schreibend ausgeharrt hatten, eine kleine rote Adlerfeder und Süßigkeiten. „Eigentlich könnte ich jetzt noch zwei Stunden weiterschreiben,“ meinte Sarah bei Veranstaltungsende.
Die Philipps-Universität beteiligte sich in diesem Jahr das erste Mal mit an der bundesweiten Aktion, die zeitgleich an mittlerweile 13 Hochschulen stattfand. In Hessen mit dabei waren außer Marburg noch Darmstadt und Frankfurt, die beide über eigene Schreibzentren verfügen. Da es eine solche Einrichtung an der Philipps-Universität bislang nicht gibt, kam die Lange Nacht auf Initiative der Beteiligten aus Sprachenzentrum, Zentraler Studienberatung, Universitätsbibliothek sowie den Fachbereichen Wirtschaftswissenschaften und Fremdsprachliche Philologien zustande. Finanziert wurde die Lange Nacht über das vom Europäischen Sozialfonds geförderte Projekt EcoSkills. Die Resonanz der Studierenden war eindeutig: innerhalb von zwei Stunden nach der Ankündigung waren alle 30 Plätze ausgebucht; auf die Schnelle wurden noch 10 zusätzliche geschaffen. „Die lange Warteliste und die vielen E-mails mit der Bitte nach weiteren Terminen zeigen den Bedarf, den wir vorher schon in unseren Beratungsgesprächen immer wieder gespürt haben“, erklärte Studienberaterin Heike Schmid von der ZAS. Eine Wiederholung der Aktion sei schon geplant. Wenn es nach den Einträgen im Gästebuch ginge, wünschten sich die Studierenden eine solche Nacht jedes Semester.
Weitere Informationen:
Ansprechpartnerinnen: Dr. Susanne Duxa, Leiterin des Sprachenzentrums
Tel.: 06421 28-21324
E-Mail: duxa@staff.uni-marburg.de