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Tiere und Pflanzen bestehen in der Regel aus vielen gleichartigen Bausteinen oder Modulen. Am offensichtlichsten ist das beim Aufbau höherer Organismen aus verschiedenartigen Zellen. Diese modulare Struktur zeigt sich aber auch auf anderen Ebenen biologischer Organisation: Verschiedene Pflanzenorgane lassen sich auf Blätter zurückführen, Insekten bestehen aus Segmenten und Wirbeltiere haben mehrere Gliedmaßen. Auch unsere Zähne sind ein Beispiel für den modularen Strukturaufbau.
Evolution kann zur Spezialisierung führen
Dabei fällt auf, dass die verschiedenen Module oft nicht identisch sind, sondern sich in Form und Funktion unterscheiden: Schneidezähne und Backenzähne haben verschiedene Aufgaben. Einzelne Bausteine sind also Spezialisten, die in Arbeitsteilung im Organismus zusammenarbeiten. Diese Möglichkeit zur Arbeitsteilung wird oft als Hauptvorteil eines modularen Aufbaus genannt und ist ein weitverbreiteter evolutionärer Trend. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Beispiele dafür, dass ein Organismus mehrere identische Module umfasst, die gemeinsam mehr als eine einzelne Aufgabe erfüllen. So bestehen einige Grünalgen aus mehreren Dutzend undifferenzierten Zellen. Jede Zelle trägt sowohl zur Ernährung, Fortbewegung und Fortpflanzung der Kolonie bei. Genauso sind Tausendfüßler und viele einfache Krebse aus zahlreichen identischen Segmenten aufgebaut.
Mathematisches Modell errechnet Grundbedingungen der Arbeitsteilung
"Unter welchen Bedingungen kann eine Arbeitsteilung zwischen den Bausteinen eines Organismus im Laufe der Evolution entstehen und wann ist eine solche Differenzierung nicht zu erwarten? An den Antworten auf diese Fragen hängt unser Verständnis, warum komplexe Organismen im Laufe der Evolution überhaupt entstanden sind und nicht alles Leben aus undifferenzierten Zellansammlungen besteht", erklärt Claus Rueffler, Erstautor der Studie und Biomathematiker an der Universität Wien. Rueffler betrachtet dieses Problem mithilfe eines mathematischen Models. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten zu diesem Thema ist das Modell nicht auf ein spezifisches biologisches System zugeschnitten, sondern konzentriert sich auf Aspekte, die allen Beispielen von Arbeitsteilung gemeinsam sind, um so Grundbedingungen ableiten zu können.
Spezialisten versus Generalisten
Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Beobachtung, dass Module nicht für verschiedene Aufgaben gleichzeitig spezialisiert sein können: Schneidezähne sind dazu geeignet, Nahrungsstücke grob zu zerteilen, aber nicht dazu, Nahrungsstücke in kleinste Teile zu zerlegen. Bei Backenzähnen verhält es sich genau anders herum. "Das Modell beantwortet die Frage, unter welchen Bedingungen ein Organismus, der aus verschiedenen spezialisierten Modulen besteht, einem Organismus überlegen ist, der aus mehreren Modulen besteht, die jeweils Generalisten sind und verschiedene Aufgaben mäßig gut erfüllen können," abstrahiert Rueffler.
Ursachen für die Entwicklung von Arbeitsteilung
Es stellt sich heraus, dass sich unter sehr allgemeinen Annahmen an das Modell erstaunlich restriktive Bedingungen für die Überlegenheit von differenzierten Organismen ableiten lassen. Ein Hauptgrund hierfür ist, dass ein hoher Grad an Spezialisierung in der Regel mit hohen Kosten verbunden ist. Generalisten sind auch dann im Vorteil, wenn bei Beschädigung des Organismus und Verlust eines spezialisierten Moduls der Totalausfall einer Funktion droht. Es braucht deshalb starke andere Faktoren, die die Evolution von Arbeitsteilung fördern. Arbeitsteilung ist zum Beispiel immer dann zu erwarten, wenn Module allein aufgrund ihrer Lage im Organismus besonders dazu geeignet sind, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Solche "Positionseffekte" waren zweifellos bei der Differenzierung der Zähne von Bedeutung. Eine weitere mögliche Ursache von Arbeitsteilung sind synergistische Effekte zwischen differenzierten Modulen, wenn die Leistungsfähigkeit des Organismus sich nicht einfach aus der Summe der Beiträge seiner einzelnen Module ergibt.
Die Resultate machen plausibel, warum trotz einer langen evolutionären Geschichte auch heute noch sehr wenig komplexe Organismen neben hochkomplexen Organismen bestehen. Für die weitere Forschung können sie als Ausgangspunkt dienen, evolutionäre Trends zu höherer Komplexität über Stammbäume hinweg zu analysieren.