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Friedrich-Schiller-Universität Jena  |  12.07.2024 15:03

Seide wird in der Medizin eingesetzt, um Wunden abzudecken oder Operationsschnitte zu verschließen

Der Seidenspinner (Bombyx mori) und verwandte Arten gehören zu den ältesten Haustieren des Menschen. Seit ca. 5.000 Jahren wird die faszinierende Fähigkeit dieser Insekten genutzt, einen hunderte Meter langen Faden spinnen zu können. Dieser Faden wird zu einem Kokon versponnen, in dessen schützender Hülle sich die Raupe ungestört verpuppen kann. Vom Menschen gewonnen, sind die feinen Fäden die Grundlage edler Stoffe und Gewänder. Doch seit einigen Jahren rücken weitere Eigenschaften der Seide in den Fokus. Sie wird in der Medizin eingesetzt, um Wunden abzudecken oder Operationsschnitte zu verschließen.

„Seide hat ein enormes Potenzial für vielfältige weitere Anwendungen“, sagt Prof. Dr. Philipp Seib, der neue leitende Professor für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit 2009 beschäftigt er sich mit dem faszinierenden Naturstoff Seide. Seibs Ziele: Verstehen, welche biochemischen Prozesse ablaufen, während die Seidenspinnerraupe in aller Seelenruhe ihren Faden spinnt und verarbeitet und diese Prozesse beherrschen, um passgenaue Lösungen für weitere medizinische Anwendungen kreieren zu können. Um dahin zu kommen, ist es aber noch ein weiter Weg.

Seide lässt sich vielfältig einsetzen und ist für Überraschungen gut

„Wir können sagen, dass die Seidenraupen im Moment etwa 1.000 Mal effizienter sind als wir“, bemerkt Philipp Seib. Mit verblüffend einfachen „Zutaten“ seien diese Insekten in der Lage, einen Faden von faszinierender Stärke zu produzieren, der unmittelbar nach dem Verlassen der Spinndrüsen aushärtet. Dabei sei Wasser das einzige Lösungsmittel, sagt Seib. Zudem verklebten die Spinndrüsen trotz minimalem Energieeinsatz nicht. Ließen sich diese Fähigkeiten kopieren, könnten etwa neuartige Fäden oder –besser – 3D-Druckverfahren für die Medizin entwickelt werden. Eine andere Idee: Medikamente in Nanogröße mit Seide ummanteln, um sie gezielt im Körper einbringen zu können. „Der Vorteil von Seide ist, dass sie biologisch verträglich und abbaubar ist und sie sich deshalb nicht im Körper anreichert“, erklärt Philipp Seib. Auch gebe es immer wieder Überraschungen. Ein tiefgekühlter Seidenfaden sei beispielsweise widerstandsfähiger gegenüber mechanischen Belastungen als ein Faden bei Normaltemperatur. Manche der Lösungen des Rätsels Seide lassen sich nur finden, wenn die Gensequenzen ausgelesen werden. Das sei zudem der Schlüssel, um neue Bio-Polymere herstellen zu können. Philipp Seib bestätigt, vieles sei noch Grundlagenforschung, aber in Kooperation mit dem Uniklinikum werde parallel bereits an konkreten Anwendungen gearbeitet.

Die Pharmazie als Schnittstelle zwischen Biologie und Chemie

Nach dem Abitur in England studierte Philipp Seib am King´s College in London. Schon frühzeitig habe er sich für Chemie und Biologie interessiert; da lag es für ihn nahe, Pharmazie zu studieren. „Das Fach liegt an der Schnittstelle beider Disziplinen“, sagt Prof. Seib. Eine erste Station nach seiner Promotion zur Nanomedizin und deren intrazellulären Verteilung an der Cardiff-University in Wales war das Leibniz-Institut für Polymerforschung in Dresden. Von dort aus ging es an die Tufts University nach Boston (USA). Über zehn Jahre forschte Philipp Seib dann in Glasgow in Schottland, ehe er sich für Jena entschied. „Hier haben wir die große Chance, etwas Neues aufzubauen“, schwärmt Seib. Das schließe eine gute Lehre ein, gemeinsames Forschen auf Augenhöhe: „Die besten Ideen entwickelt ein Team im direkten fachlichen Austausch, da sollte es keine Barrieren geben“, sagt Seib.