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Pädagogische Hochschule Weingarten - Barbara Müller  |  05.10.2021 15:13

Schulgärten als sinnstiftende Lernorte

Mehr als 100 Teilnehmende aus ganz Europa tauschten sich Ende September bei der Online-Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten e.V. über Gärten als Orte der Naturerfahrung und des Wohlbefindens aus

Weingarten – Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Belastungen von Boden, Wasser und Luft stellen die Menschen vor große globale Herausforderungen. „Es ist wichtig, dass wir alle verstehen, dass Natur und speziell Pflanzen die Basis unseres Lebens sind“, sagte Bettina Gräfin Bernadotte, Geschäftsführerin der Mainau GmbH, in ihrem Grußwort zur Online-Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Schulgarten e.V. am letzten Septemberwochenende. Gräfin Bernadotte hatte die Schirmherrschaft der Tagung übernommen, bei der sich mehr als 100 Teilnehmende aus ganz Europa virtuell austauschten.

Ursprünglich sei Weingarten als Tagungsort für die Feier zum zehnjährigen BAG-Bestehen vorgesehen und eine Exkursion auf die Insel Mainau geplant gewesen, berichtete Professorin Dr. Dorothee Benkowitz, Fachsprecherin Biologie an der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH). Bei ihr lag die Organisatorin der Veranstaltung. Im Zuge der Corona-Pandemie habe man sich aber für eine virtuelle Jahrestagung entschieden. Gemeinsam mit weiteren Hochschulen, Vereinen, Verbänden und Firmen engagiert sich die PH als Mitglied in der Schulgarten-Bundesarbeitsgemeinschaft. In vielen Ländern gebe es gute Ideen und kreative Impulse zum Thema Schulgarten als idealem Lernort. „Zeit zum gemeinsamen Handeln ist genau jetzt!“, so Prof. Benkowitz.

Die Tagung sei ein wichtiger Meilenstein für die Entwicklung der Schulgartenarbeit, betonte Professor Dr. Bernd Reinhoffer, PH-Prorektor Lehre, der die Teilnehmenden begrüßte und dem Organisationsteam um Professorin Benkowitz dankte. Die PH verstehe sich als Ort der Bildung, auch der Umweltbildung, und fördere lebenslanges Lernen.

Nur wenn Kinder Natur unmittelbar erleben könnten, werde es gelingen, sie zu nachhaltigem Handeln anzuregen, gab Gräfin Bernadotte zu bedenken. Es liege ihr sehr am Herzen, dass Kinder schon früh lernen, wie Pflanzen funktionieren und was man aus ihnen machen kann. In dem „grünen Labor“ Schulgarten könnten sie beobachten und entdecken, Lebenskreisläufe kennenlernen, Selbstwirksamkeit erfahren, Verantwortung übernehmen und dabei jede Menge Spaß haben. Gräfin Bernadotte bedankte sich bei allen für und in den Schulgärten Aktiven für deren „großartiges Engagement, das Thema Schulgarten weiter zu beleben“ und ein europäisches Netzwerk aufzubauen. „Denn nur, wenn wir uns austauschen, inspirieren und voneinander lernen, können wir anstehende Aufgaben gut lösen.“

Ort der Naturerfahrung & Quelle des Wohlbefindens

Dass Gärten und Schulgärten immer mehr an Bedeutung gewinnen, wurde im Hauptvortrag von Professorin Dr. Carolin Retzlaff-Fürst von der Universität Rostock deutlich. In einer Prognose gehe die Weltgesundheitsorganisation davon aus, dass in circa 30 Jahren nahezu 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, berichtete die Referentin. Der Mensch brauche aber die Natur, Naturkontakt und Naturerfahrungen, betonte sie. Zahlreiche Untersuchungen belegten mittlerweile, dass sich Naturerfahrungen positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirkten. Die Natur biete Interaktion, Möglichkeiten zur Beobachtung und Auseinandersetzung oder auch sinnliche Erlebnisse und wecke Emotionen. Sie habe sowohl biophysische als auch indirekte Effekte. Biophysisch gesehen fungiere die Natur – gefühlt und messbar – als Luftschmutzfilter, verbessere die Luftwerte und verringere die Verbreitung von Krankheiten der Atemwege. In zugepflasterten Regionen hingegen, so Prof. Retzlaff-Fürst weiter, führten erhöhte Temperaturen nicht selten zu Kopfschmerzen, Erschöpfung oder auch Kreislaufkrankheiten. Als indirekte Effekte der Natur nannte die Expertin den Anreiz zur Bewegung, die Förderung der geistigen Gesundheit, Stressreduktion und die Reduzierung von Krankheiten, die durch einen sitzenden Lebensstil bewirkt werden. Erwiesen sei zudem, dass Aufenthalte in der Natur vor allem auch für Kinder und Jugendliche gesundheitsfördernd seien und Bewegungsmangel, Übergewicht, Allergien, Stress und Entwicklungsstörungen entgegenwirkten.

Die Ergebnisse empirischer Forschungen zeigten gleichfalls, dass der Garten nicht nur ein Ort der Naturerfahrung, sondern auch Quelle des Wohlbefindens sei, betonte die Referentin. So bestätigten beispielsweise weibliche und männliche Studien-Teilnehmende, die nach drei Stunden aktiver Gartenarbeit einen Fragebogen beantworteten, dass sich das Experimentieren, Umgraben, Pflanzen und Jäten im Garten positiv auf ihr Wohlbefinden ausgewirkt und ihr Selbstwertgefühl gesteigert habe. Am meisten von Aufenthalten in der Natur profitierten – auch das haben Studien gezeigt – die jüngsten Altersgruppen und psychisch Kranke. „Grün macht vergnügt“, laute die Devise, so Professorin Retzlaff-Fürst. „Wir sollten daher alle Potenziale nutzen, um unseren Schulen Schulgärten zu ermöglichen“, so ihr Appell.

Im Anschluss an den Hauptvortrag erhielten die Teilnehmenden in verschiedenen Workshops praxisorientierte Tipps und Anregungen zur Gestaltung und unterrichtlichen Nutzung von Schulgärten als sinnstiftenden Lernorten.

Projekt Schoolgarden goes Europe

Im Vorprogramm der Jahrestagung informierten die Veranstalter über das Erasmus Plus-Projekt Schoolgarden goes Europe. Zu Schulgärten als wirkungsvollen Lernorten, in denen lokales Handeln mit globalem Denken sinnstiftend verknüpft werden könne, sei europaweit viel Expertise vorhanden, sagte PH-Professorin Benkowitz, die für die PH Weingarten Ansprechpartnerin des Projekts ist. Um den Austausch von Best Practice-Beispielen zu ermöglichen und zu fördern, werde in diesem von der EU geförderten Projekt daher gemeinsam mit Kollegen der PH Vorarlberg und der Széchenyi István Universität in Ungarn ein europäisches Netzwerk von Schulgärtnerinnen und Schulgärtnern auf- und ausgebaut.