VON MAXIMILIAN REICHLIN | 24.05.2014 14:12

Verkehrte Tierwelt – Von Straßen und ihren Auswirkungen auf die Fauna

Die meisten Menschen erkennen im immer weiter fortschreitenden Ausbau der Straßennetze ein Zeichen des Fortschritts und loben die Bequemlichkeit der Mobilität. Doch gerade in den letzten Jahren werden Stimmen laut: Straßen zerteilen oft die Wohngebiete heimischer Wildtiere, erschreckend hoch ist die Anzahl der durch Tiere ausgelösten Unfälle. Herkömmliche Verhütungsmethoden versagen hier. Könnte die von den Grünen und der SPD geplante „grüne Infrastruktur“ etwas bewirken? UNI.DE geht der Sache auf den Grund.


In der Jagdsaison 2011/12 starben in Deutschland knapp 200.000 Wildtiere bei Verkehrsunfällen. Im Jahr 2012 wurden mehr als 258.000 Unfälle durch Kollisionen mit Wild verursacht. 20 Autofahrer kamen dabei ums Leben, zumindest noch 3.000 verletzten sich schwer. Der Schadensaufwand für die Versicherungen: enorm, mehr als 580 Millionen Euro. Deswegen hat die Unfallforschung der Versicherer eine Untersuchungsreihe durchgeführt, um die wirksamsten Methoden zu ermitteln, Wildunfälle zu verhüten. Ein Vorher/Nachher-Vergleich ergab jedoch: Keine der getesteten Methoden bewirkte eine signifikante Verbesserung. Getestet wurden dabei etwa Duftbarrieren, Reflektoren und Wildwechselschilder.

Tempo 30 als Lebensretter?

Die Versicherer empfehlen daher: erhöhte Vorsicht, nicht nur im Frühling und Herbst, sondern das ganze Jahr hindurch, besonders in der Dämmerung. Einen wesentlich praktikableren Ansatz verspricht dagegen die Koalition von Grünen und SPD in Baden-Württemberg mit dem Ausbau der „grünen Infrastruktur“. Dazu sollen auf großen Gebieten Biotope angelegt und miteinander verbunden werden, um damit ein groß angelegtes „Netz“ aus Lebensräumen zu schaffen. Das einzige Problem dabei: Straßennetze zerschneiden oft die Lebensräume von heimischen Tierarten, mit dem Ausbau der Straßen verkleinert sich auch der Lebensraum. Wanderwege der Tiere werden durch die Straßen gekreuzt, was zu noch mehr Wildunfällen führt.

Mögliche Lösungen der „grünen Infrastruktur“ sind die Querungshilfen, die es den Tieren erlauben, gefahrlos die Straße zu überqueren. Eine Querungshilfe ist etwa ein Kleintierdurchlass, zum Beispiel die altbekannten „Krötentunnel“. Durch Stopprinnen und Leiteinrichtungen sollen im Idealfall Amphibien wie Kröten und Frösche auf ihren Laichwegen gezielt zu den Unterführungen und damit sicher über, oder besser unter die Straße geleitet werden. Auch kleine Säugetiere, etwa Mäuse, oder Reptilien können die Kleintierdurchlässe auf ihren Wanderwegen nutzen.

Ein anderer Ansatz sind die sogenannten Grünbrücken. Diese bepflanzten Überführungen kommen immer mehr in Mode, was nicht nur an ihrem ästhetisch ansprechenden Aussehen liegt: Sie sind auch eine gute Lösung als Straßenübergang für Wild und andere größere Landsäugetiere. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Grünbrücken mehrere Anforderungen erfüllen. Sie brauchen die richtige Lage, das richtige Design und eine wirksame Abschirmung gegen Störungen seitens der Straßennetze, etwa gegen Licht und Lärm.

Solche Maßnahmen wären auch ein Argument gegen die kritischen Stimmen von Tier- und Umweltschützern, die, gerade in den letzten Jahren, die Gefährdung der Lebensräume heimischer Tiere durch die Straßennetze anprangern. Sie fordern schon lange eine Neuvernetzung der Ökosysteme, wie sie die „grüne Infrastruktur“ nun zumindest im Koalitionsvertrag der teilnehmenden Parteien in Baden-Württemberg vorsieht. Ansonsten, so fürchten sie, könnten sich die Probleme radikal verschlimmern, und zum Massensterben und schlussendlich zum Aussterben ganzer Arten in den betroffenen Gebieten kommen, deren Neuansiedlung wenn dann nur mit erheblichem Aufwand möglich wäre.