VON JASCHA SCHULZ | 07.08.2015 16:09

Sollte Bargeld abgeschafft werden?

Ist das Zahlen mit Bargeld ein Anachronismus? Nicht einmal mehr zehn Prozent des Geldes im Euroraum besteht aus Münzen und Banknoten. Der Rest ist virtuelles Geld, das auf den Rechnern existiert, mit dem sich aber ganz normal bezahlen lässt. Fachleute fordern nun die völlige Abschaffung des Bargelds. Wie sieht es allerdings mit der Unabhängigkeit der Menschen aus, wenn es kein Bargeld mehr gibt? Und liefert das Bezahlen mit Kreditkarte dem Staat nicht persönliche Daten auf dem Silbertablett? Diesen und weiteren Fragen ist UNI.DE nachgegangen.

Es gibt scheinbar gute Gründe, Bargeld abzuschaffen. Es würde keine Banküberfälle, Schwarzarbeit oder Geldwäsche mehr geben. Drogengeschäfte sowie Steuerhinterziehung könnten eingedämmt werden. Dies sagen zumindest die Gegner des Bargelds. Außerdem sind sie der Ansicht, dass der Bezahlvorgang an der Kasse erheblich beschleunigt würde, wenn Kunden nur noch eine Geldkarte auf ein Magnetfeld legen müssten. Und sie gehen davon aus, dass erhebliche Verwaltungs- und Transaktionskosten wegfallen würden, die durch Bargeldgeschäfte verursacht werden. Auch Punkte der Hygiene spielen eine Rolle bei den Überlegungen, Schein- und Münzgeld abzuschaffen.

Dass ein Leben ohne Bargeld tatsächlich möglich ist, bewies Björn Ulvaeus. Zumindest in Schweden. Ein Jahr lang tätigte der ehemalige Abba-Sänger alle seine Geschäfte bargeldlos. Die Kirchen-Kollekte, die Spende an Obdachlose oder die Gebühr für die Bahnhofstoilette: Alles konnte er in Schweden mit Kreditkarte abwickeln.

Braucht unser Finanzsystem eine Reform?

Schweden nimmt in Europa generell eine Vorreiterrolle ein, wenn es um die Marginalisierung von Bargeld geht. Laut dem IWF sind in Schweden pro Kopf gerade einmal 685 Euro Bargeld im Umlauf. Zum Vergleich: In der Euro-Zone beträgt diese Summe durchschnittlich 4000 Euro. Ob in Kaufhäusern, Supermärkten oder Tankstellen, es wird vordergründig mit Geldkarte oder Handy bezahlt. Gewerkschaften, Banken und Handelsketten setzen sich in Schweden für eine völlige Abschaffung des Bargelds ein. Ihr Motto: „Nur alte Leute und Bankräuber wollten heute noch Bargeld“. Auch in weiteren Ländern deutet vieles darauf hin, dass Bargeld in Zukunft eine immer geringere Rolle spielen wird. Dänemark wird wahrscheinlich den Annahmezwang für Bargeld in kleineren Läden, Restaurants oder Tankstellen abschaffen. Der zeitliche und monetäre Aufwand, den die Bargeldannahme verursacht, stehen hier im Vordergrund. Außerdem gibt es in vielen Ländern mittlerweile eine Obergrenze für das Bezahlen mit Bargeld. In Frankreich dürfen Geldgeschäfte nur noch bis zu einer Höhe von 1000 Euro bar abgewickelt werden, in Griechenland liegt die Grenze sogar bei 500 Euro. Und in Deutschland? Hier existiert eine solche Obergrenze noch nicht. Finanzminister Schäuble und Bundesbankchef Thiele wehren sich generell gegen eine Abschaffung des Bargelds. Jeder solle bezahlen können, wie er wolle. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass auch in Deutschland Bargeld nicht mehr das „einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel“ ist, wie es in Paragraph 14 des Bundesbankgesetzes festgehalten ist. Dieser Paragraph besagt, dass Bargeld bei jedem Geldgeschäft als Zahlungsmittel akzeptiert werden muss. Auch in den Statuten der Europäischen Union ist Bargeld als uneingeschränktes Zahlungsmittel verankert. Will man allerdings in Deutschland die GEZ bar bezahlen, ist das schlichtweg nicht möglich. Hier sind nur Lastschriften oder Überweisungen erlaubt. Auch Steuernachzahlungen können nicht so einfach bar beglichen werden. Interessant ist hierbei die Begründung des Finanzamts: „Dem Steuerpflichtigen steht es frei, fällige Steuern zu überweisen oder per Lastschrift einziehen zu lassen. Die Vorstellung, dass Bürger noch mit Bargeld ins Finanzamt kommen und Geld einzahlen wollen, geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Die Finanzämter haben sich dieser Wirklichkeit mit der Regelung des § 224 Abs. 4 AO angepasst“. Die Lebenswirklichkeit der Gesellschaft scheint also europäisches Recht zu brechen und zu einigen Sonderregelungen innerhalb der EU-Länder zu führen. Für Norbert Häring vom Handelsblatt gibt es deshalb zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt überall wieder Bargeld an, oder die Gesetze müssten geändert werden.

In den Augen der renommierten Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger und Kenneth Rogoff hätte eine Abschaffung des Bargelds noch einen weiteren Nutzen. Die Zentralbanken könnten auf diese Weise den Leitzins ins Negative senken. Das könnte zu Investitionen durch Staaten und Firmen führen, die ihrerseits die Wirtschaft ankurbeln. Unter momentanen Umständen sei dies allerdings undenkbar, so die Ökonomen. Würden Zentralbanken negative Zinsen ansetzen, ließen Sparer umgehend ihr Konto auflösen und würden das Geld zuhause horten. Mit einer Abschaffung des Bargelds wäre das nicht mehr möglich. Sparer wären dann gezwungen die negativen Zinsen zu tragen. Aufgrund dessen stößt der Vorschlag von Bofinger und Rogoff auf große Kritik. Es wird gefordert, das Geld auf den Banken müsse sicher sein. Dass Banken sich von Ersparten bedienen, erscheint vielen als barbarischer Akt. Dies kontert Rogoff. "Negative Zinsen mögen manchen Leuten als barbarisch erscheinen. Doch sie sind nicht barbarischer als die Inflation, die die reale Kaufkraft von Geldvermögen ganz ähnlich aushöhlt." Trotzdem erhält Rogoff starken Gegenwind. Denn für viele bedeutet ein Ende des Bargelds auch in einem gewissen Ausmaß ein Ende der bürgerlichen Freiheit. Schein- und Münzgeld ist ein Wertaufbewahrungsmittel das man zurückbehalten kann, etwas, das unter dem Bett liegt und Sicherheit gibt, etwas, das man von jedem Einfluss fernhalten kann. Außer eben vor der Inflation. Allerdings reicht es für viele schon aus, dass das Geld nicht bei irgendeiner Bank liegt und jederzeit für deren Zwecke nutzbar gemacht werden kann. Hierin zeigt sich ein Drang nach Unabhängigkeit von dem allmächtig erscheinenden Finanz- und Bankensektor. Dessen Einfluss ist für viele Menschen bereits jetzt schon zu groß. Denn ein Großteil des sich im Umlauf befindlichen Gelds ist Giralgeld, das von den Banken in Umlauf gebracht wurde. Diese können durch die Eröffnung eines Kredits Geld aus dem Nichts heraus schaffen, da nur ein Prozent des Kredits bei der Zentralbank als Reserve hinterlegt werden muss. Als Lösung veranschlagen einige Finanzexperten das Vollreserve System, oder Vollgeldsystem. Dieses würde die Banken dazu zwingen, das bei einer Kreditvergabe verliehene Geld vorrätig zu haben oder sich dieses bei der Zentralbank zu leihen. Allerdings bezweifeln Fachleute die Möglichkeit der Durchsetzung dieses Systems, da die Zentralbanken dann sämtliche Kreditvorhaben prüfen und für diese Prüfung eigene „realwirtschaftliche Zielsetzungen“ haben müssten. Befürworter und Gegner des Bargelds sind sich allerdings darin einig, dass die wahllose Vergabe von Krediten durch Geschäftsbanken eingeschränkt werden muss. Ansonsten bestünde für die Banken Insolvenzgefahr, was im schlimmsten Fall zu einer erneuten Finanzkrise führen könne. Der Ökonom Mathias Binswanger schlägt als Lösungsansatz zum Beispiel vor, dass Banken, wenn sie Kredite vergeben, zu einem weitaus höheren Prozentsatz zu Eigenkapital verpflichtet werden als bisher.

Diskussionen um eine Abschaffung des Bargelds berühren außerdem einen weiteren Punkt, der die Freiheit und Unabhängigkeit der Menschen betrifft. Einige sehen in dem Zwang zum virtuellen Bezahlen einen weiteren Baustein zur völligen Überwachung der Zivilgesellschaft. Denn jeder Zahlungsvorgang mit Kredit-, Geldkarte, Handy oder Ähnlichem führt zumindest zeitlich begrenzt zur Speicherung von persönlichen Daten bei den beteiligten Dienstleistern und Banken.

Kreditkartenzahlungen unterliegen zwar den Datenschutzregelungen des Telemediengesetzes. Allerdings sind viele Bürgerinnen und Bürger durch den NSA-Skandal und weitere aktuelle Diskussionen um den Umgang der Geheimdienste mit persönlichen Daten misstrauisch, ob Datenschutzrechte tatsächlich eingehalten werden. Die Anonymität des Bargelds, die in Punkto Kriminalität als ein Nachteil anzusehen ist, erweist sich bezüglich der Datensicherheit als ein Vorteil.

Ob das Bargeld nun tatsächlich abgeschafft wird, ist schwer zu sagen. Der Trend geht zumindest hin zu einer Marginalisierung des Bargelds. In Deutschland allerdings scheinen die Bürger ihr Bargeld noch zu lieben: Bei über 55 Prozent aller Einkäufe bezahlen die Deutschen durchschnittlich in Bar.