VON MAXIMILIAN REICHLIN | 07.09.2014 14:44

Was ist Allgemeinbildung und wie kann man sie erwerben?

Die Diskussion um die oft zitierte Allgemeinbildung beschäftigt im Moment wieder die Bildungspolitik. Viele Experten fordern eine Rückkehr zum Grundlagenwissen. Doch die ständig wachsende Flut an Informationen erschwert das Abstecken eines allgemein bindenden Wissenskanons. Plötzlich weiß niemand mehr: Was muss ich wissen, wie viel kann ich wissen, welches Wissen ist wirklich nützlich für mich? UNI.DE versucht, der Allgemeinbildung auf den Grund zu gehen.

Eine umfassende Bildung wird immer wichtiger. Nicht nur politisch oder auf dem Arbeitsmarkt, auch gesellschaftlich findet dahingehend gerade ein Umschwung statt. Das Internet stellt eine unglaubliche Vielzahl an unterschiedlichsten Wissenstests und Weiterbildungsmöglichkeiten zur Verfügung, Quiz-Apps und Wissensspiele für PC und Smartphone erlebten in der letzten Zeit einen wahren Boom. Plötzlich scheint jeder bestrebt zu sein, sein eigenes „Weltwissen“ zu erhöhen. Dass mittlerweile beinahe jede Frage durch einen Besuch des Onlinelexikons Wikipedia oder durch eine kurze Suchanfrage auf Google beantwortet werden kann, ist ebenfalls Teil dieses Trends. Niemals zuvor konnte der Mensch auf eine so umfassende Menge an Informationen zurückgreifen, wie heute.

Von Yolo bis Wallah oder

Doch ist das allein schon Allgemeinbildung? Die Möglichkeit, sich selbst zu jeder Sekunde des Tages zu bilden? Der Philosophieprofessor Gernot Böhme bestreitet das. Zwar sei die Vorstellung, auf eine Sammlung „unendlichen“ Wissens zuzugreifen für viele Schüler und Studenten verlockend, doch meistens nicht sinnvoll. Es entsteht ein „Flickenteppich“ aus abgespeichertem Wissen, das allerdings in keinen sinnvollen Zusammenhang mehr gebracht werden kann. Ähnlich beschreibt es der Publizist Thomas Petersen vom Allensbacher Institut für Demoskopie: „Denken kann man nur mit dem, was man im Kopf hat.“ Und eben nicht mit dem, was man googeln kann.

Pädagogen und Experten sind sich einig: Es fehlt an Grundlagenwissen. Der Präsident des deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus gibt vor allem der Bildungspolitik die Schuld daran, dem Turbo-Abitur G8 oder der Konzentration auf eine Steigerung des PISA-Rankings. Im Gespräch mit der tz sagte Kraus dazu: „Manchmal hat man den Eindruck, Bildung ist das, was Pisa misst. Bildung ist aber viel breiter angelegt! Pisa untersucht weder das sprachliche Ausdrucksvermögen, noch literarisches, historisches oder geografisches Wissen.“ Und genau auf eine solche „Allgemeinbildung“ komme es an. Dem Schüler solle die Kompetenz vermittelt werden, die Welt und die Gesellschaft zu verstehen und selbst zu einem mündigen Mitglied der Gesellschaft zu werden. Denn: „Wer nichts weiß, muss alles glauben.“

Als immens wichtig erachtet Kraus dabei die Allgemeinbildung in Sachen Literatur und Sprache. Der Deutschunterricht, der in den letzten Jahren immer wieder gekürzt und mittlerweile zu einer Art „Sprachbarberei verkommen“ sei, solle wieder mehr gefördert werden, denn durch Sprache begreife und erlebe der Mensch die Welt. Auch ein bindender Bildungskanon sei dabei nicht verkehrt. Der Ökonom Ludger Wößmann schlägt im Gespräch mit dem FOCUS vor, 60 Prozent der Schullektüren deutschlandweit bindend vorzuschreiben, um eine vergleichbare Basis zu schaffen.

Die von Microsoft und dem Magazin FOCUS herausgegebene „Bildungsstudie Deutschland 2007“ gibt den Experten dahingehend Recht. Demnach seien etwa nur die Hälfte der befragten Eltern und nur 15% der befragten Arbeitgeber zufrieden mit der Vermittlung von Allgemeinbildung an Schulen, gut 51% der Lehrer zeigten sich unzufrieden über die Lernerfolge der Schüler. Auf der anderen Seite betrachten 49% der Befragten in einer Online-Umfrage des Magazins GEO eine umfassende Allgemeinbildung als „Basis für das ganze Leben“, die deswegen unbedingt gefördert werden sollte. Diese kann aber nur abseits von messbaren PISA-Ergebnissen und downloadbarem Wissen liegen und muss wieder grundlegend in den Schulen Einzug halten.