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VON Marieke Behnel  |  10.03.2016 10:23

Niederlagen als Neuanfang - Ulmer Denkanstöße geben dem Scheitern eine Chance

„Scheitern – Na und?“ Jeder erleidet irgendwann in seinem Leben einmal Schiffbruch. Die große Frage ist: Wie geht man damit um? Lässt man sich von einer Niederlage entmutigen oder begreift man das persönliche oder berufliche Misslingen als Neuanfang? Die Ulmer Denkanstöße wollen die Bürger vom 16. bis 19. März zum Umdenken bewegen, und zwar mit einem Thema, mit dem wahrscheinlich jeder bereits Erfahrungen gemacht hat: dem Scheitern.

„In Deutschland gibt es keine positive Kultur des Scheiterns“, stellt Iris Mann fest. „Stattdessen wird eine Niederlage in der öffentlichen Wahrnehmung mit Häme und Schadenfreude diskutiert“, sagt die Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Soziales. Dabei wäre es wichtig, dass Menschen zur Bereitschaft zurückzufinden, auch mal ein Risiko einzugehen. Die Kulturabteilung der Stadt Ulm hat dieses Jahr wie gewohnt gemeinsam mit dem Humboldt-Studienzentrum für Philosophie und Geisteswissenschaften (HSZ) der Universität Ulm Universität Ulm sowie mit der Stiftung Kunst und Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg eG die Denkanstöße organisiert. Im Mittelpunkt des diesjährigen Programms stehen Menschen, die etwas Neues gewagt haben und daran gescheitert sind. „Scheitern verrät immer mehr über eine Person als das Gelingen. Scheitern treibt voran! Bewertet man den Moment des Scheiterns neu und betrachtet ihn als Umkehrpunkt, entstehen kreative und produktive Kräfte, um etwas Neues zu beginnen“, betont Professorin Renate Breuninger, Geschäftsführerin des HSZ. Dass sich dieser Gründergeist wieder in unserer Gesellschaft und „Wohlstandsverwaltungskultur“ durchsetzt, wünscht sich auch der Vorstandsvorsitzende der Sparda-Bank Baden-Württemberg, Martin Hettich. „Hätten wir vor fast zehn Jahren nicht etwas Neues versucht, gäbe es die Ulmer Denkanstöße vielleicht heute nicht.“

Aus verschiedenen Perspektiven wie der Philosophie, Psychiatrie oder Wirtschaft nähern sich die elf Referentinnen und Referenten dem Thema, das persönlicher nicht sein kann. Verschiedene Formate wie Vorträge, Lesungen, Improvisationscomedy oder auch die erste Ulmer „FuckUp Night“, bei der normale Bürger ihre selbsterlebten Niederlagen thematisieren, sollen auch das Publikum animieren, sich mit eigenem Misslingen auseinanderzusetzen und dieses vielleicht sogar zu teilen. „Wir wollen den Menschen die Angst vor dem Scheitern nehmen und zeigen, dass es viele positive Elemente hat“, sagen die Veranstalter.

„Immer weniger junge Menschen haben heute den Mut, ein hohes Risiko auf sich nehmen“, meint Professor Joachim Ankerhold, Sprecher des HSZ und Vizepräsident für Forschung und Technologietransfer der Uni Ulm. „Forschung ist ohne Scheitern nicht denkbar! Sie ist eine Reise ohne Landkarte, bei der man den Ausgang vorher nicht kennt.“ Veranstaltungen wie die Denkanstöße seien deshalb wichtig, weil sie eine Brücke zwischen Uni und Stadt, zwischen Wissenschaft und Kultur schlagen, und Fragen stellen, die gesellschaftlich relevant sind.

Festvortrag zum philosophischen Umgang mit Niederlagen Den Auftakt der diesjährigen Denkanstöße bildet der Vortrag „Lebenskunst heißt, auch mit dem Misslingen leben zu können“ von Wilhelm Schmid am Donnerstagabend um 19:30 Uhr. Der Berliner Autor und Philosophieprofessor ist nämlich zur Philosophie gekommen, weil er privat immer wieder an der Liebe gescheitert ist – und er sich gefragt hat, ob es nicht erst das Misslingen sei, das dem Leben einen Sinn verleihe. In seinem Vortrag plädiert er deshalb dafür, die gefühlte „Pflicht zum Glück“ zu vergessen und Scheitern als Ermutigung zu sehen.

Gekonnt scheitern in Wissenschaft, Wirtschaft und im Privaten Das Schwerpunktthema am Freitag widmet sich – moderiert vom Leiter der Südwestpresse-Lokalredaktion, Hans-Ulrich Thierer – ab 14:00 Uhr dem Scheitern im Beruf und Privatleben. Thorsten Leibenath, Trainer der Basketballmannschaft ratiopharm ulm, argumentiert in seinem Impulsreferat, dass nicht allein das Berechenbare zum Glück führe, sondern Scheitern dazugehöre. An Schicksalen aus der ersten Lampenfieberambulanz Deutschlands erläutert die Psychiaterin und Gründerin der Ambulanz, Dr. Déirdre Mahkorn, unter welchem Druck und existenziellen Ängsten besonders Bühnenkünstler stehen. Schließlich fragt der Schriftsteller Bodo Kirchhoff bei der Lesung aus seinem Werk „Verlangen und Melancholie“, ob Liebe immer scheitern müsse.

Am Samstag (Beginn 14:30 Uhr) steht das Scheitern in Wissenschaft und Wirtschaft im Mittelpunkt. Unternehmer wie Sina Trinkwalder, die in ihrer Textilfirma Menschen beschäftigt, die auf dem Arbeitsmarkt chancenlos sind, oder Sascha Schubert vom Bundesverband für Deutsche Startups appellieren in ihren Impulsvorträgen an die Eigenverantwortung des Menschen – und daran, dass das Scheitern etwas Normales sei. Aber – in Schuberts Worten – eben auch „doof“. Moderiert wird das zweite Schwerpunktthema von Professor Ulrich Andelfinger, dem Leiter des Ulmer SWR-Studios. Im Abschlussvortrag der Denkanstöße erläutert der Historiker Professor Peter Longerich anhand der Biographien von Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler, weshalb er diese drei Existenzen als gescheitert ansieht – und welche Rolle hierbei fehlende Selbstreflektion und Ablehnung von Kritik spielen. Professor Joachim Ankerhold moderiert die Veranstaltung.

Traditionelles Rahmenprogramm mit Novum Kulturell begleitet werden die Denkanstöße – wie immer bereits beginnend am Mittwoch – dieses Mal von zwei unterschiedlichen Veranstaltungen. Das Filmdrama „Das Streben nach Glück“ (18:00 Uhr, Xinedome) zeigt, dass Beharrlichkeit und Ehrgeiz die Antwort selbst auf gravierende Misserfolge wie Arbeitslosigkeit sein können. „Schöner Scheitern“ kann das Publikum dann am Freitag (20:30 Uhr, Stadthaus) mit Susanne Pätzold, Axel Strohmeyer und Franco Melis. Das Comedy-Trio teilt in Sketchen und Improvisationen seine Gedanken und Einfälle zum beruflichen oder privaten Scheitern und fordert, ähnlich dem Mitleid, ein „Mit-Scheitern“ mit den Unglücksraben. Als neues Format präsentiert sich am Samstagabend (19:30 Uhr) die erste Ulmer „FuckUp Night“, moderiert von Professor Ulrich Andelfinger. An diesem Abend stehen ganz normale Menschen auf der Bühne, die an irgendetwas in ihrem Leben gescheitert sind und teils mit einem Augenzwinkern berichten, wie sie nach der Niederlage den Weg zum Erfolg gefunden haben.

Der Eintritt zu den Vorträgen und Veranstaltungen der Denkanstöße ist kostenlos. Die Einnahmen aus freiwilligen Spenden kommen in diesem Jahr dem „Selbsthilfebüro KORN“ zugute, das 250 Initiativen in der Region koordiniert, die sich in der gesundheitlichen und psychosozialen Selbsthilfe engagieren.

Weitere Informationen:
Humboldt-Studienzentrum, Universität Ulm, Tel.: 0731/ 50 23461
Kulturabteilung der Stadt Ulm, Tel.: 0731/ 161 4701
www.ulmer-denkanstoesse.de