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VON JOERG HEEREN  |  10.09.2013 13:55

Zum Forschen in die Kneipe

Gedämpftes Licht, ein Wirrwarr von Gesprächen und laute Musik: Barkeeper müssen mit allerlei Störungen klarkommen, wenn sie ihre Kunden bedienen. Vor allem müssen sie in dem Getümmel erkennen, welcher Gast bedient werden will und wer nicht. Wie ihnen dabei die Körpersprache der potenziellen Kunden hilft, hat ein Bielefelder Forschungsteam analysiert. Es hat herausgefunden, dass die verbreitete Annahme, Kunden würden den Barkeeper für Bestellungen heranwinken, durch Alltagsbeobachtungen nicht bestätigt werden kann. Die Analyse zeigt, dass entscheidend ist, wie sich Kunden an der Theke aufstellen. Die Forschungsergebnisse fließen in die Programmierung des Barkeeper-Roboters James ein. Die Bielefelder Wissenschaftler präsentieren ihre Studie jetzt in dem Online-Forschungsjournal „Frontiers in Psychology“.

Die Studie ist Teil des EU-Projekt „James“ (Joint Action in Multimodal Embodied Systems – Gemeinschaftliches Handeln in multimodalen Systemen mit Körpern). Die Universität Bielefeld ist über die Arbeitsgruppe Psycholinguistik von Professor Dr. Jan de Ruiter an dem Projekt beteiligt. In der Kooperation entwickeln Forscherinnen und Forscher aus Bielefeld, Edinburgh, Kreta und München einen Roboter, der Getränke an einer Bar serviert. Der Roboter trägt den gleichen Namen wie das Forschungsprojekt. Anders als sein Name nahelegt, hat er vom Aussehen her wenig mit einem britischen Butler aus dem vergangenen Jahrhundert zu tun: Sein Kopf besteht aus einem Tablet-PC, auf dessen Display sich Augen und Mund bewegen. Montiert ist er auf einem metallenen Körper, der mit einem Arm ausgestattet ist und auf einem Stativ steht. Er kann Bestellungen entgegennehmen, um dann mit seinem Arm das Getränk zu greifen und dem Kunden zu reichen.

Der Barkeeper-Roboter James soll künftig Abläufe beherrschen, die für Menschen selbstverständlich sind. „Damit er auf Kunden angemessen reagieren kann, muss er in der Lage sein, das soziale Verhalten von Menschen zu erkennen“, erklärt Professor de Ruiter. James soll intuitiv genutzt werden können, sodass weder Vorwissen noch eine Anleitung nötig sind. Aus-schließlich auf Sprache zu achten, würde das System in dem Lärm einer Kneipe oder Diskothek überfordern. Deswegen erlernt der Roboter, auch Körpersprache zu deuten. „Wir arbeiten daran, ihn mit der Fähigkeit auszustatten, zu erkennen, wann ein Kunde seine Aufmerksam-keit wünscht“, sagt de Ruiter. „Dafür haben wir erforscht, wie ein Bestellvorgang im tatsäch-lichen Leben abläuft.“ Denn für die Maschine muss klar definiert werden, welche Signale eine Bestellung einleiten und welche nicht. Sonst kann es passieren, dass sie auf Signale reagiert, die eine andere Bedeutung haben, und so Personen irritiert.

Die Bielefelder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben unter anderem in Kneipen und Diskotheken in Bielefeld, Herford und im schottischen Edinburgh gefilmt, wie Besucher den Barkeeper auf sich aufmerksam machen, wenn sie bestellen möchten. Die Auswertung der Videos lieferte Signale, die Kunden üblicherweise einsetzen, um die Aufmerksamkeit des Barkeepers zu erregen, und solche, die selten genutzt werden und damit kaum zum Erfolg führen. Demnach schauen Kunden nur in weniger als sieben Prozent der Fälle in ihre Geldbörse, um ihre Bestellbereitschaft zu zeigen. Weniger als vier Prozent der Kunden winken dem Barkeeper zu, wenn sie bestellen wollen. Die erfolgreichen Signale sind weniger offensichtlich: Die Kunden stellen sich in mehr als 90 Prozent aller Fälle an die Theke und drehen sich möglichst frontal in Richtung der Bar. Das Forschungsteam ermittelte, dass genau dieses Verhalten von Besuchern vermieden wird, die nicht bestellen wollen. Unbewusst halten sie einen kleinen Abstand zur Theke und wenden sich von ihr ab – zum Beispiel, wenn sie einen Gesprächspartner ansehen. „Das bedeutet, dass die Kunden selbst zwischen Bestellverhalten und Nicht-Bestellverhalten unterscheiden“, sagt der Psychologe Dr. Sebastian Loth, einer der Autoren der Studie.

Auf Basis der Befunde wurde James‘ Programmierung angepasst. „Er spricht jetzt nur noch Besucher an, die durch ihre Position und Körperhaltung eindeutig zu erkennen geben, dass sie bestellen wollen“, sagt Loth. Erst dann fragt James in gehobenem Englisch: „How can I help you?“ Drängler haben bei ihm keine Chance. James geht fair vor, indem er speichert, wer zuerst sein Bestellinteresse bekundet und wer später dazu kommt.

Das EU-Projekt James läuft seit Anfang 2011 und endet im kommenden Jahr. Koordiniert wird es von der University of Edinburgh in Großbritannien. Die Hardware des Roboters wurde von der fortiss GmbH in München entwickelt und programmiert. Weitere Partner in dem Projekt sind die Heriot-Watt University in Großbritannien und die Foundation for Research and Technology (FORTH) in Griechenland.