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VON AXEL BURCHARDT  |  29.07.2013 11:53

Die Scherbenflüsterin

Griechische Archäologin forscht mit Marie-Curie-Fellowship für zwei Jahre an der Universität Jena

Scherben bringen Glück, heißt es im Volksmund. Für Dr. Kleopatra Kathariou bedeuten sie Forscherglück. Denn die griechische Archäologin beschäftigt sich mit ganz speziellen Scherben: Es sind die Reste einer antiken Athener Töpferwerkstatt, die sich größtenteils in den Antikensammlungen der Friedrich-Schiller-Universität Jena befinden. Diesen als „Werkstatt des Jenaer Malers“ bekannten Fund kann Kleopatra Kathariou nun ausführlich untersuchen. Für insgesamt zwei Jahre wird sie nun dank eines neuen Stipendiums, das von der Gerda-Henkel-Stiftung und der Europäischen Kommission finanziert wird, in Jena forschen. Die aus Thessaloniki stammende Archäologin ist damit an Thüringens größter Hochschule die erste Wissenschaftlerin mit diesem Stipendium.

Doch es ist nicht das erste Mal, dass sie in Kontakt mit dem „Jenaer Maler“ kommt. Bereits 1995 hat sie den berühmten Fund im Rahmen ihrer Doktorarbeit analysiert. „Ich war sofort begeistert, denn weltweit gibt es bisher nur drei solcher Werkstattkomplexe“, erzählt sie. Bis heute hat sie der außergewöhnliche Werkstattfund nicht mehr losgelassen, weshalb sie seither mehrmals an der Jenaer Universität forschte. Seit einigen Tagen ist Kathariou dank des neuen Stipendiums erneut in der Saalestadt – denn noch immer sind nicht alle Stücke des Jenaer Malers vollständig erfasst und bearbeitet.

„Dass Dr. Kathariou diese Möglichkeit erhält, ist für uns ein großer Glücksfall“, sagt Prof. Dr. Angelika Geyer. „Sie hat ein ausgeprägtes Gespür für die Details und erst dank ihr wissen wir deutlich mehr um die Hintergründe und die zentrale Bedeutung der Werkstatt des Jenaer Malers“, so die Lehrstuhlinhaberin für Klassische Archäologie.

Der Fundkomplex des Jenaer Malers besteht aus Dutzenden Scherben attischer Vasen und Schalen. Einige der Gefäßfragmente sind mit rotfigurigen Malereien verziert, andere sind mit einem schwarzen Firnis und einfachen gestempelten und Ritzornamenten versehen. Lange Zeit war unklar, ob beide Typen tatsächlich zur gleichen Werkstatt gehören. Akribisch analysierte Kleopatra Kathariou jedes einzelne Teil und konzentrierte sich dabei vor allem auf die Formen der schwarzen Fundstücke. Sie identifizierte einige Merkmale und stellte fest, dass zumindest ein Teil der schwarzen Scherben ebenfalls zur Werkstatt des Jenaer Malers gehört. „Auf der Unterseite der Schalenfüße gibt es beispielsweise ein typisches Kreismuster, wobei jeder Maler einen speziellen Stil hat“, veranschaulicht Kathariou.

In den kommenden zwei Jahren will sie nun die noch unbearbeiteten Stücke untersuchen und zusätzliche chemische Analysen durchführen. „Damit können wir die Tonzusammensetzung feststellen und die Herkunft der Fragmente klären – auch von den Stücken, bei denen wir uns derzeit noch unsicher sind“, sagt Kathariou, die hauptberuflich in der griechischen Region Zentralmakedonien arbeitet. Ein Teil des Geldes stammt aus dem Erlös, den die Versteigerung der Rektor-Geschenke beim Sommerfest der Uni erbrachte und den der Rektor für Gastwissenschaftler bereitstellt, die sich mit den vielfältigen Jenaer Sammlungen beschäftigen. Weitere Informationen erhofft sich Dr. Kathariou von Recherchen u. a. in Oxford, Zürich und Athen, wo sich bedeutende archäologische Bibliotheken und Archive befinden. Dabei hat sie ein klares Ziel vor Augen: den Abschluss ihrer Habilitation und die vollständige Publikation des Jenaer Malers.
Die Forschungen der 43-jährigen Griechin helfen, mehr über die internen Abläufe in einer antiken Töpferwerkstatt zu erfahren. „Es gibt zwar unzählige attische Vasen und Schalen, aber wir wissen kaum etwas darüber, wie sie hergestellt wurden“, verdeutlicht Dr. Dennis Graen, der Kustos der Antikensammlungen der Universität Jena. Kleopatra Kathariou konnte den Fundkomplex des Jenaer Malers bereits datieren und die Produktion seiner Werkstatt sogar in unterschiedliche Tätigkeitsperioden unterteilen. Und sie fand heraus, dass die schlichten schwarzen Keramiken nicht etwa von einem weniger talentierten Handwerker stammen. Vielmehr hat die Töpferwerkstatt in dieser Zeit die Produktion auf günstigere Massenware umgestellt. „Griechenland befand sich nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges, also der Zeit des Jenaer Malers, in einer Krise und die Töpfer waren auf der Suche nach neuen Abnahmemöglichkeiten“, erklärt Kathariou als würde sie in den Tonscherben wie in einem Buch lesen.

Für die Jenaer Archäologen und ihren griechischen Gast sind die Scherben des Jenaer Malers damit doppeltes Forscherglück: Mit ihnen lässt sich nicht nur die Herstellungsweise attischer Töpferkunst rekonstruieren, sondern auch ein Stück antike Wirtschaftsgeschichte nacherzählen.