VON RICHARD KEHL | 26.08.2010 14:21

UNI Kino:Enter The Void

Der umstrittene Filmemacher Gaspar Noé hebt in seinem neuen Film in eine andere Dimension ab: Er verlässt den menschlichen Körper, die Seele als unsichtbarer Dritter übernimmt die Funktion des Beobachters und die der Kameraeinstellung - bis zur Wiedergeburt.

Ein Tibetanisches Totenbuch und ein elternloses Geschwisterpaar: Oscar (Nathaniel Brown) und Linda (Paz del la Huerta). Sie haben ihre Eltern bei einem tragischen Auto-Unfall verloren und sind nach Japan geflüchtet. Im Großstadtdschungel Tokyos hält Oscar sich mit Drogenhandel, seine Schwester sich als Tänzerin in einem Stripclub über Wasser. Bei einer Razzia wird Oscar erschossen, seine Seele verlässt den Körper und fungiert fortan als eine Art unsichtbarer Dritter. Als herrenlose Seele wacht er über seine Schwester, der er geschworen hat, immer bei ihr zu sein. Und das inmitten einer bunten und vor allem nächtlichen Untergrund-Neonwelt Tokyos mit all seinen Licht- und Schattengestalten.

Kritik: Gaspar Noé macht pornografisches Kino in jeder Hinsicht: Er scheut sich nicht davor die menschlichen Abgründe und andere Facetten bis ins kleinste Detail zu zeigen. Dabei stößt er auch in den Intimbereich vor. Wo viele Filmemacher ihre Grenze ziehen, gerät er erst so richtig in Fahrt.

Ebenso bei „Enter The Void“. Hat man die ersten anstrengenden 10 bis 20 Minuten als Prolog vom Anfangs-Trip überstanden, die mit ihren zahlreichen psychodelischen Visuals eher an ein GOA Event-Trip erinneren, wird der Zuseher zunehmend hypnotisiert, in den Bann von Gaspar Noé ´s Welt - und seiner Art die Dinge zu sehen - gezogen. Die gesamte Kameraperspektive findet aus der Sicht Oscars und seiner Seele statt. Sein Gesicht selbst ist dabei nie zu sehen, außer er blickt in den Spiegel. Dank Computertechnologie sind kaum Schnitte wahrnehmbar, stattdessen fliegt die Seele Oscars von einem Schauplatz zum anderen ohne wirklich groß in der Kamerfahrt unterbrochen zu werden.

„Enter The Void“ ist ein künstlerisch geniales studentenkompatibles Independent-Drama voller Ideen und Parabeln über menschliche Abgründe, Schicksale, Geburt, Liebe, Leben, Drogen, Tod, Sex, Wiedergeburt, Seelenwanderung und ein tibetanisches Totenbuch. Eine psychodelisch exzessive, pornografische Achterbahnfahrt – in jeder Hinsicht - voll Bildsprache, die auch mit wenigen Worten auskommt. Einziges Manko: Vom Regisseur gewollt eingesetzte Stilmittel wie Kamerafahrten, die eine Seelenwanderung aus der Sicht einer imaginären dritten Person darstellen sollen, wiederholen sich zu oft, sind zu langwierig, verlieren an Dynamik. Dadurch ist der Film mit über 2,5 Stunden auch etwas zu lang geraten.