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VON DR. BORIS PAWLOWSKI  |  26.05.2015 09:33

Kieler Forschende bauen die kleinsten Maschinen der Welt

Die DFG stellt Millionenförderung für die Entwicklung neuartiger Medikamente und Materialien an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) bereit.

Großer Jubel an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU): Wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) heute (Donnerstag, 21. Mai) bekannt gab, unterstützt sie die Forschung an Molekülen, die wie Maschinen funktionieren, erneut mit 8,9 Millionen Euro. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im nördlichsten Bundesland wollen damit in den nächsten vier Jahren eine neue Ingenieurtechnik auf molekularer Ebene entwickeln. Diese ultimative Miniaturisierung soll die Effizienz von Energieumwandlungssystemen, Medikamenten, Diagnosemethoden und Werkstoffen verbessern und auch ganz neue Anwendungsgebiete erschließen. Mit der Förderung geht der sogenannte Sonderforschungsbereich (SFB) mit der Nummer 677 „Funktion durch Schalten“ in die dritte und letzte Förderphase. Sonderforschungsbereiche werden maximal zwölf Jahre finanziert. In der deutschen Hochschullandschaft sind sie heiß begehrte Forschungseinrichtungen. Insgesamt arbeiten in dem Kieler Forschungsverbund etwa 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Chemie, Physik, den Materialwissenschaften und der Medizin.

Pionierarbeit auf dem Gebiet der molekularen Maschinen
Dem positiven Bescheid war eine intensive Begutachtung durch DFG-Fachleute vorausgegangen, die alle vier Jahre ansteht. „Meine allerherzlichsten Glückwünsche gehen an die Kolleginnen und Kollegen aus dem SFB 677 – sie haben großartige Arbeit geleistet und die DFG erkennt das an“, sagte CAU-Präsident Professor Lutz Kipp. „Für das Land Schleswig-Holstein und speziell für die Universität Kiel bedeutet dies, dass mit Bundesmitteln die Forschung gestärkt, die internationale Sichtbarkeit verbessert und zahlreiche Arbeitsplätze für hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geschaffen werden.“ Alle am Projekt Beteiligten hätten exzellente wissenschaftliche Ergebnisse hervorgebracht und so die Bildung des Kieler Forschungsschwerpunkts „Nanowissenschaften und Oberflächenforschung“ maßgeblich befördert.

Von der Entwicklung winziger Maschinen im technischen und medizinischen Bereich versprechen sich die Forschenden ähnlich revolutionierende Leistungssteigerungen wie wir sie in den letzten Jahrzehnten in der Informationstechnologie erlebt haben. Die Grundlagen hierfür müssen aber erst noch geschaffen werden. Fundamentale Beiträge dazu hat der Kieler SFB geliefert, denn gegen Ende der ersten Förderperiode 2011 konnten die Forschenden bereits einen bahnbrechenden Erfolg vorweisen: Einem Team um Professor Rainer Herges, Sprecher des SFBs, war es erstmals gelungen, den magnetischen Zustand eines einzelnen Moleküls bei Raumtemperatur gezielt zu steuern – mit Licht verschiedener Wellenlängen. Der winzige Schalter erregte internationales Aufsehen und wird für den Einsatz in minimal invasiven Schlaganfall- und Herzoperationen und der MRT-Diagnostik weiter entwickelt. „Solche Arbeiten sind nur möglich, indem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche zusammenarbeiten“, sagt Chemiker Herges.

Kieler Sonderforschungsbereich international führend in den Nanowissenschaften
Das Anwendungsspektrum für molekulare Schalter wächst geradezu explosionsartig und revolutioniert ganze Wissenschaftsbereiche, wie zum Beispiel die Hirnforschung. Doch keine andere Arbeitsgruppe konnte bisher Moleküle herstellen, die sich effizienter zwischen zwei Zuständen hin und her schalten lassen, die temperaturbeständiger und stabiler sind als die aus den Kieler Laboren. Herges Kolleginnen und Kollegen konnten kreativ werden und fanden bis heute viele Einsatzmöglichkeiten für die Moleküle: in neuen Materialien für die Solartechnik, in potenziellen neuen Medikamenten, als schonendes Kontrastmittel für die medizinische Diagnostik. Die Arbeit daran, genau wie die Forschung an Materialien, die ihre Ermüdung durch Farbwechsel selbst anzeigen können, geht aktuell weiter.

Über 160 wissenschaftliche Artikel veröffentlichten die Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in den letzten vier Jahren. Zwei Firmen wurden erfolgreich aus dem Sonderforschungsbereich ausgegründet – eine entwickelt Lichttechnik für wissenschaftliche Experimente und industrielle Anwendungen. Die andere stellt Materialien mit speziellen Funktionen her. Außerdem wurden 28 Doktorarbeiten abgeschlossen.

Für die letzte Förderperiode, die nun beginnt, wollen die Forschenden sich weiter auf neue Anwendungen konzentrieren: „Wir werden stärker mit Materialwissenschaftlern und Medizinern zusammenarbeiten“, sagt Professor Rainer Herges. Ein Ziel sei es, Wirkstoffe herzustellen, die sich erst am Krankheitsherd einschalten und damit Nebenwirkungen im gesunden Gewebe vermeiden und molekulare Maschinen, die Lichtenergie direkt in chemische (also speicherbare) Energie umwandeln.