VON CLEMENS POKORNY | 22.06.2016 16:39

Zweit- oder Fremdsprache – was ist der Unterschied?

Flüchtlinge erlernen bei uns Deutsch als „Zweitsprache“, nicht als „Fremdsprache“. Das ist, wie gezeigt werden soll, in Deutschland eigentlich selbstverständlich – allerdings nicht an Schulen. Das liegt aber nicht mehr daran, dass der fremd- vom altsprachlichen Unterricht (also demjenigen in den „toten“ Sprachen) geprägt wäre. Vielmehr sind die Möglichkeiten der Schule in der Vermittlung von Sprache als Medium alltäglicher Kommunikation klar begrenzt.

Etwa jeder sechste der Flüchtlinge, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, ist im schulpflichtigen Alter. Aber so gut wie keiner spricht Deutsch. Kenntnisse in der Sprache eines Landes entscheiden aber wesentlich über Schulerfolg und Einstellungschancen. Die Länder haben die logische Konsequenz gezogen und stellen seit zwei Jahren vermehrt Lehrkräfte ein, die eine Zusatzqualifikation in „Deutsch als Zweitsprache“ besitzen oder sich verpflichten, zeitnah entsprechende Fortbildungen zu machen. An diesem aktuellen Beispiel lässt sich gut nachvollziehen, was die Zweit- von einer Fremdsprache – ein bei weitem bekannterer Begriff – unterscheidet.

Wer nach Deutschland kommt und dort von Muttersprachlern, aber auch gleichsam en passant im Alltag Deutsch lernt, erwirbt es als Zweitsprache (Deutsch als Zweitsprache, DaZ). Es wird für sie oder ihn (günstigenfalls) mittelfristig die mindestens zweite Sprache, die sie oder er fließend auf einem Niveau spricht, das dazu befähigt, schulische und berufliche Abschlüsse zu machen und dauerhaft hier zu leben und zu arbeiten. Für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund werden Förderklassen mit verstärktem Deutschunterricht eingerichtet, der von DaZ-Lehrkräften gehalten werden sollte. Diese brauchen ihre spezielle Ausbildung, weil ihnen sonst als Muttersprachlern das Bewusstsein für die Grammatik des Deutschen fehlen würde. Fremdsprachen lernen wir ja meistens über Vokabeln und das System der Grammatik, während der Erwerb der Muttersprache beiläufig passiert und wir nicht nachdenken müssen, um die deutsche Grammatik sicher anzuwenden, selbst auf Wörter, die wir kurz zuvor erst kennengelernt haben.

Mit dem Latein am Ende?

Nicht-Muttersprachler erlernen eine Zweitsprache nachweislich weniger im Klassenzimmer, sondern dort, wo sie tatsächlich gesprochen wird: im echten Leben, also im privaten und Berufsalltag. Dieser Umstand spricht dafür, Flüchtlinge nicht gleichsam zu kasernieren, wie es etwa in Bayern geschieht, sondern von Anfang an individuell in Häusern unterzubringen, wo sie mit muttersprachlichen Deutschen unter einem Dach und in einem von Muttersprachlern bewohnten Viertel leben. Dort kommen sie im Alltag viel öfter in Situationen, in denen sie zum Deutschsprechen gezwungen sind. Auf diese Weise kann Deutsch ganz automatisch ihre Zweitsprache werden, mit der sie sich nicht identifizieren müssen, die sie aber flüssig auditiv, mündlich und schriftlich anwenden können.

Diese Art des sozusagen natürlichen Lernens unterscheidet sich offensichtlich massiv vom Unterricht in einer Fremdsprache. In Deutschland wird zwar das Englische, Französische, Italienische oder Spanische mittlerweile viel besser vermittelt als noch vor dreißig Jahren: Anders als etwa an französischen Schulen wird der Unterricht auch in der Fremdsprache gehalten, die Lehrbücher schließen an die Lebenswelt der Jugendlichen an und die Prüfungen werden vermehrt mündlich gestaltet. Doch in jedem Fall bleibt die Fremdsprache auf die Schule beschränkt und ihr Unterricht umfasst naturgemäß viele Lebenssituationen nicht oder nicht in authentischer Weise (z.B. Flirten, Nach-dem-Weg-Fragen, Bestellung im Restaurant etc.). Und außerhalb der Schule wird sowie nur Deutsch gesprochen. Da Sprachkenntnisse aber von ihrem Gebrauch leben, verliert man sie auch schnell wieder, wenn man sie nach Ende des letzten Schuljahres in der jeweiligen Fremdsprache mehrere Jahre lang nicht benutzt.

Fazit: Besser als in der Schule erlernt man eine Fremdsprache dort, wo sie auch gesprochen wird. Während des Studiums sollte(n) also ein oder mehrere Auslandssemester erwogen werden, während deren die Fremd- auch ohne Vorkenntnisse schnell zur Zweitsprache werden kann, also echte und beruflich wertvolle Sprachkompetenzen aufgebaut werden. Flüchtlinge sind in der gleichen Situation – wenn der Staat sie denn mit deutschen Muttersprachlern Kontakt haben lässt statt sie nur in Klassenzimmern theoretisch im Deutschen zu unterrichten. Witzige bis satirische Bearbeitungen dieses Problems haben übrigens Anke Engelke hier und Loriot hier vorgelegt.