VON MAXIMILIAN REICHLIN | 26.10.2015 15:10

Wenn Kinder zu Soldaten werden

Nach wie vor wird weltweit rund eine Viertelmillion Kinder als Soldaten missbraucht. Von Armeen oder Milizen zwangsrekrutiert lernen diese Kindersoldaten das Töten und verlieren dabei jede Hoffnung auf ein normales Leben. Unterstützt werden solch unmenschliche Praktiken durch Gesetzeslücken und Waffenexporte aus der ganzen Welt – etwa auch den USA und Deutschland. Kinderhilfsorganisationen haben kaum die Möglichkeit, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. UNI.DE mit einem erschreckenden Bericht.



Sie sind gut ausgebildet. Sie sind bewaffnet. Sie sind erbarmungslose Kampfmaschinen. Und sie sind in vielen Fällen nicht älter als zwölf Jahre. Kindersoldaten gibt es auf der ganzen Welt, vor allem aber in Bürgerkriegsregionen in Afrika, Asien oder Südamerika. Schätzungen zufolge fallen bis zu 250.000 Kinder in rund 20 Ländern weltweit unter die Definition eines Kindersoldaten, die im Jahr 2007 in den „Pariser Prinzipien“ festgelegt wurde: Personen unter 18 Jahren die von Streitkräften oder bewaffneten Gruppen als Kämpfer oder Arbeiter rekrutiert werden.

Kindersoldaten werden sowohl von Armeen als auch von paramilitärischen Milizen eingesetzt. So rekrutiert etwa die Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Syrien und dem Irak gezielt Minderjährige. Sie werden entführt oder mit falschen Versprechungen auf Sold und Verpflegung angelockt und anschließend gnadenlos gedrillt. Ihre einzige Aufgabe: Töten. Manche der Kindersoldaten werden sogar als Selbstmordattentäter eingesetzt.

"Ein hungerndes Kind zu ernähren kostet 40 Cent und einen Knopfdruck"

Deutschland und die USA unterstützen die Kriegstreiber

Ermöglicht wird das mitunter auch dadurch, dass viele Organisationen und Staaten, die erwiesenermaßen Kindersoldaten einsetzen, oft von staatlicher Seite unterstützt werden, direkt und indirekt. So leisten etwa die Vereinigten Staaten nach wie vor Militärhilfe für den Jemen, die Demokratische Republik Kongo, den Sudan und Tschad. Alle vier Länder stehen auf der sogenannten „Liste der Schande“, die von den Vereinten Nationen jedes Jahr veröffentlicht wird und gehören deswegen zu Staaten, die minderjährige Soldaten in bewaffneten Konflikten einsetzen, Organisationen dabei unterstützen oder von Kindersoldaten im eigenen Land wissen, ohne etwas dagegen zu unternehmen.

Friedensnobelpreisträger Barrack Obama selbst hatte im Jahr 2010 eine „Ausnahmeregelung“ für die besagten Staaten verkündet und damit die bis dahin geltende US-Gesetzgebung zur Ächtung von Kindersoldaten faktisch ausgehebelt. Der „Child Soldier Prevention Act“ war im Jahr 2008 von Obamas Vorgänger George W. Bush eingeführt worden, und untersagte der USA jede Form der militärischen Hilfe für solche Staaten. Auch aus Deutschland kommt indes indirekte Hilfe für die Kriegstreiber: Die Bundesrepublik ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Waffen, darunter etwa das deutsche Gewehr G3. Solche sogenannten „Kleinwaffen“ sind leicht und auch von Kindern zu bedienen und machen daher den Einsatz von minderjährigen bewaffneten Kämpfern überhaupt erst möglich.

Harter Drill führt zu Disziplin und Gehorsam

Die Ursachen für den Einsatz von Kindersoldaten sind erschreckend pragmatisch: Kinder sind billig zu versorgen, in großer Zahl vorhanden und sehr viel leichter zu beeinflussen als Erwachsene. Das ist wichtig, denn in vielen Fällen geht mit der militärischen auch eine religiöse und ideologische Ausbildung einher. Die Kinder müssen lernen, Befehlen blind zu gehorchen und Anweisungen nicht in Frage zu stellen, egal wie sinnlos oder grausam diese erscheinen.

Die Ausbildung ist hart. Im Mai veröffentlichte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) aktuelle Zahlen zur weltweiten Lage. Darin berichtet ein ehemaliger Kindersoldat aus dem Südsudan von seinem Training: „Am schlimmsten war, morgens um drei Uhr geweckt zu werden und bis mittags trainieren zu müssen. Wir haben nur drei Mal pro Woche etwas zu essen bekommen. Wenn du die Waffe nicht richtig bedienen konntest, wurdest du geschlagen. Ich hatte keine Wahl.“

Es gibt kaum Hoffnung auf Besserung

Nur wenige Kinder überleben diese Tortur. Schätzungen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass zwischen 1990 und 2000 insgesamt zwei Millionen Kindersoldaten im Kampfeinsatz getötet und sechs Millionen Kinder verstümmelt wurden. Hinzu kommen psychische und seelische Schäden. Selbst wenn ein Kind dem Dasein als Soldat entkommt, sind die Folgeschäden katastrophal. Gewalt gegenüber abgestumpft, ohne Selbstbewusstsein und ohne Perspektiven fällt es solchen Überlebenden schwer, sich überhaupt noch einmal in die Gesellschaft zu integrieren. Ein normales Leben kommt für sie nicht in Frage.

Möglichkeiten diesem Treiben ein Ende zu setzen gibt es kaum. Die meisten Kindersoldaten sind in Gebieten im Einsatz, die nur schwer zu erreichen sind. Obwohl also der Einsatz von Kindern in bewaffneten Konflikten weltweit verboten und geächtet wird, müssen sich Kinderhilfsorganisationen wie die UNICEF oder „terre des hommes“ darauf beschränken, überlebende oder geflohene Kindersoldaten bei ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu unterstützen. Befreiungsaktionen oder gezielte Sanktionen gegen den Einsatz von Kindersoldaten sind kaum möglich.