VON CLEMENS POKORNY | 18.07.2016 16:15

Tod aus dem Schlot

Aktuell bestätigt eine wissenschaftliche Untersuchung frühere Studien: Kohlekraftwerke emittieren so viel Feinstaub und andere giftige Substanzen, dass über 20.000 vorzeitige Todesfälle europaweit sich darauf zurückführen lassen. Kohleverstromung sorgt für Krankheiten und trägt massiv zum Klimawandel bei. Einflussreiche Lobbyisten haben allerdings bislang verhindert, dass es einen konkreten Fahrplan zum Kohleausstieg in Deutschland gibt.

Mehr als 3.500 Todesfälle in Deutschland im Jahr 2013 nur aufgrund der Emissionen von Kohlekraftwerken: Das ist die erschütternde Bilanz der Studie „Dark Cloud“, die der Word Wildlife Fund (WWF) und zwei andere europäische Umweltschutzorganisationen in Auftrag gegeben haben. Warum und wie führen die Kraftwerksabgase zum Tod? Wie glaubwürdig sind die Zahlen der Umwelt-Lobby? Und wie reagiert die Politik darauf?

Kohlekraftwerke sind Dampfkraftwerke: Durch die Verbrennung von Kohle wird Wasser erhitzt, und der so entstehende Dampf treibt Turbinen an, die wiederum mit ihrer Bewegungsenergie Generatoren versorgen. Doch außer Strom kommen auch Abgase aus dem Kraftwerk. Obwohl die Abluft seit den 1980er-Jahren durch immer bessere Filter gereinigt wird, enthält sie noch immer große Mengen an Feinstaub, in denen u.a. Blei, Cadmium und Nickel nachweisbar sind, außerdem Schwefeldioxid, Stickstoffoxide, polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe sowie Quecksilber. Alle diese Stoffe wirken auf Mensch und Umwelt so toxisch wie sie klingen. Quecksilber zum Beispiel gelangt über das Grundwasser in die Nahrungskette und kann bei Neugeborenen zu Intelligenzminderungen führen. Feinstaub in der Luft begünstigt das Auftreten von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Schlaganfällen. Auch aus Schwefeldioxid und Stickstoffoxiden entsteht in der Atmosphäre sogenannter sekundärer Feinstaub. Die Partikel lassen sich, etwa zu wissenschaftlichen Zwecken, besser aus der Luft filtern als im Kraftwerk, und aufgrund der konkreten Zusammensetzung des Feinstaubs kann sogar nachgewiesen werden, woher er stammt – z.B. aus dem Auspuff eines Autos oder eben aus dem Schlot eines Kohlekraftwerks.

Boykott der fossilen Energieträger

Nun weiß man aber auch über die gesundheitlichen Auswirkungen von Feinstaub gut Bescheid, und auch, wie der Wind die Abgase aus den europäischen Kohlekraftwerken verteilt. Mit darauf zugeschnittenen Rechenmodellen lässt sich daher vergleichsweise zuverlässig angeben, für wie viele Krankheiten und Todesfälle die Emissionen verantwortlich sind: europaweit nämlich besorgniserregende 22.900 Tote durch Feinstaub und zehntausende zusätzliche Fälle von Herz- und Lungenkrankheiten. Die durch krankheitsbedingte Arbeitsausfälle und Behandlungen auflaufenden Gesundheitskosten, die Kohlekraftwerke verursachen, summieren sich in ganz Europa auf bis zu 62,3 Milliarden Euro jährlich. Und Deutschland steht hinter Polen gleich auf dem unrühmlichen 2. Platz der kräftigsten Emittenten von Feinstaub u.s.w. aus Kohlekraftwerken.

Eine große giftige Abgasglocke hängt daher über Europa – und die Emissionen bleiben natürlich nicht über dem Land, in dem sie ausgestoßen wurden. Deutsche Kohlekraftwerke sind also auch für ausländische Krankheits- und Sterbefälle verantwortlich – und auch für 80% der europäischen Gesamtemissionen des klimaschädlichen CO2. Auch in Gestalt des menschengemachten Klimawandels erzeugt die Kohleverstromung also erhebliche Folgekosten. Doch während die Kraftwerksbetreiber die Gewinne aus der auf der Stromrechnung so preisgünstigen Kohle (oder genauso auch Atomkraft) einstreichen, zahlen wir alle gleichermaßen für die Schäden, die durch diese Technologie entstehen. Alles spricht also gegen Kohlekraftwerke – doch anders als bei der Kernkraft gibt es noch keinen verbindlichen Fahrplan für den Ausstieg aus der Kohle. Im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung heißt es sogar, „als Teil des nationalen Energiemixes“ seien die konventionellen Kraftwerke, so auch die Kohlekraftwerke, „auf absehbare Zeit unverzichtbar“. Urheber des Satzes ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Freese – und es gibt noch etliche weitere Genossen, die sich in Bund und Ländern für das schwarze Gold stark machen. Das Argument der Versorgungssicherheit war freilich schon im Fall der Atomkraft unglaubwürdig. Und was sind Arbeitsplätze wert, die mit Tod und Klimakatastrophe gesichert werden?