VON CHARLOTTE MEYER | 20.10.2015 12:00

Der Vorstoß in Richtung Big Brother – Debatte über Intelligente Grenzen für EU-Reisende

Man verteidigt nicht mehr die Freizügigkeit in der EU, sondern deren Einschränkung. „Intelligente Grenzen“ oder „Smart Borders“ für alle – das forderte kürzlich die französische Regierung. Die Bundesregierung befürwortet das und spricht von einem besseren „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ in der Kontrolle von EU-Reisenden. Was „Intelligente Grenzen“ sind und warum gerade jetzt die Forderung nach mehr Grenzen laut wird, hat UNI.DE hier nachrecherchiert.



Bessere Kontrolle durch mehr Daten

„Smart Borders“ sollen den europäischen Grenzverkehr besser kontrollieren. Diese „Intelligenten Grenzen“ sollen nach amerikanischem Vorbild funktionieren und von Einreisenden aus Drittstaaten an EU-Grenzen Fingerabdrücke und Gesichtsbilder sammeln. Die EU-Kommission hatte hierzu im Februar 2008 eine Mitteilung verfasst, die die Einführung von neuen Instrumenten zur Grenzverwaltung in Betracht gezogen hatte. 2013 dann wurde das „Smart Borders“ Paket vorgestellt, das unter anderem ein Eingangs-Ausgangs System und ein Registrierungsprogramm für Reisende beinhaltete. Die EU-Kommission hat mit der Einführung dieses neuen Systems vieles vor: Es soll nicht nur das Management an den äußeren Grenzen der Schengen-Staaten verbessern, sondern auch regelwidrige Immigration bekämpfen, Informationen über sogenannte „Overstayers“ sammeln und Grenzübergänge für Vielreisende aus Drittländern verbessern. Mit Overstayers sind dabei Menschen gemeint, die eine abgelaufene Aufenthaltsbewilligung haben und die EU nicht fristgerecht verlassen haben. Von der EU-Kommission wird geschätzt, dass sich die Zahl dieser Gruppe auf 1,9 bis 3,8 Millionen beläuft. Sie sind der Grund für das neue Prüfsystem: Die „intelligenten Grenzen“ sollten nämlich ursprünglich nur zur grenzpolizeilichen Ermittlung von Overstayern dienen und waren für andere Gruppen nicht vorbestimmt. Mittlerweile wurden aber der Zweck und die Zielgruppen des Systems erweitert. Derzeit läuft die Testphase des neuen Prüfungssystems an unterschiedlichen Flughäfen, Bahnhöfen und Häfen der EU. Dabei wird getestet, wie die Einreisenden die Scans von vier Fingern der rechten Hand annehmen und wie es mit zeitlichem Aufwand und Machbarkeit aussieht. Im November 2015 schließlich soll ein Endbericht hierzu erscheinen.

Gefangen vor den Toren Europas - über die tödlichste Grenze der Welt

Mehr Passagiere und mehr Immigration = mehr Kontrolle

Bisher ging es bei der Installation von Intelligenten Grenzen vor allem um die Kontrolle von Bürgerinnen und Bürgern aus Drittstaaten und nicht um Mitglieder der EU-Bevölkerung. Die französische Regierung hat kürzlich jedoch gefordert, diese auch in das neue Kontrollsystem mit einzubeziehen. Das Argument dafür ist einfach: Mehr Passagierzahlen, gesteigerte Migration und größere Bedrohung durch Terrorismus. Die Freizügigkeit im Schengen-Raum könne nur durch verstärkte Kontrollen aufrechterhalten bleiben, so heißt es. Das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben dem Grenzsystem gegenüber allerdings finanzielle und technische Bedenken. Nur um das System zu starten wären wahrscheinlich mehr als eine Milliarde Euro nötig. Würde der Forderung der französischen Delegation der EU-Ratsarbeitsgruppe „Grenzen“ nachgekommen, würde das nicht nur viel Geld kosten, sondern es würden auch mehr Daten als ursprünglich geplant gesammelt werden. Die Bundesregierung steht diesem neuen Ansatz der „Smart Borders“ indes wohlwollend gegenüber und spricht von einem besseren „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ in der Kontrolle von Reisenden.

Über eine Milliarde Personen abgespeichert

Durch die Ausweitung des Grenzsystems auf EU-Bürgerinnen und Bürger allerdings wird das gesamte System teurer. So müssten nicht nur zusätzlich die Daten von 500 Millionen Menschen gespeichert, sondern auch mehr Fingerabdrücke für Polizeibehörden abgenommen werden als geplant. Für deren Zwecke reichen nämlich die geplanten vier Fingerabdrücke nicht aus, sondern es müssten so viele wie möglich abgenommen werden. In einer technischen Studie der EU-Kommission ist von 26 Datenfeldern die Rede, wozu beispielsweise Telefonnummer, Reisezweck, Beruf und Informationen zu früheren Ein- und Ausreisen gehören würden. Die biometrische Vorratsdatenspeicherung würde dann mehr als eine Milliarde Menschen betreffen, wovon weniger als die Hälfte Einreisende aus Drittstaaten wären. Diese ganzen Informationen könnten dann bis zu fünf Jahre gespeichert werden. Vor allem von den Grünen im Europaparlament hagelt es Kritik an dem Entwurf zu den „Intelligenten Grenzen“. Die grenzpolitische Sprecherin der Europafraktion warnte davor, dass dieser der Eintritt in Big Brother und in die Komplettüberwachung von Reisenden sei. Auch hat die mögliche grenzpolizeiliche Verwendung der Daten einen unangenehmen Beigeschmack: Dadurch, dass Polizeibehörden auf alle Daten Zugriff haben würden, stünden alle Einreisenden von vornherein unter Generalverdacht. Vielreisende könnten verdachtsunabhängig überwacht und diskriminiert werden. Von der Kommission ist allerdings bisher nicht bewiesen, dass die „Smart Borders“ tatsächlich zu mehr Sicherheit führen würden.