VON MAXIMILIAN REICHLIN | 18.08.2016 07:29

Der 6-Stunden-Tag – Sollten wir uns an den Schweden ein Beispiel nehmen?

Der 8-Stunden-Tag gilt in Deutschland als Standard. Wissenschaftliche Studien belegen jedoch, dass eine Arbeitszeit von acht Stunden pro Tag die Produktivität senkt; Ärztinnen und Ärzte beklagen außerdem den engen Zusammenhang der langen Arbeitszeiten mit psychischen und physischen Erkrankungen. Die Linke strebt deswegen schon lange danach, den 6-Stunden-Tag einzuführen – ein Modell, das in Schweden bereits seit einigen Jahren von einer Vielzahl von Unternehmen ausprobiert wird. Die Experimente laufen gut – scheitern letzten Endes aber an den Kosten. UNI.DE über die Hintergründe.

Arbeiten wir zu viel? Wenn man den Schweden Glauben schenken darf, dann ja. Immer mehr schwedische Firmen, beispielsweise in der Stadt Göteborg, experimentieren mit dem Konzept 6-Stunden-Tag. Bei Toyota in Göteborg gibt es das Modell sogar bereits seit 13 Jahren. Finanzielle Einbußen musste das Werk deswegen aber nicht hinnehmen, obwohl von Wirtschaftswissenschaftlern und konservativen Politikern prophezeit. Stattdessen hat sich die Produktivität der Beschäftigten sogar erhöht, die Profite sind gestiegen.

Ähnliche Erfahrungen machen auch andere Firmen mit dem 6-Stunden-Tag: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl des Svartedalens-Pflegeheimes als auch der Universitätsklinik in Göteborg sprechen von steigender Leistungsbereitschaft und mehr Spaß an der Arbeit. Gestützt werden diese subjektiven Aussagen von Ergebnissen aus arbeitspsychologischen Studien. Demnach könne sich ein arbeitender Mensch durchschnittlich nur vier bis fünf Stunden produktiv auf seine Arbeit konzentrieren, danach sinke die Arbeitsleistung rapide ab.

Die Kosten des 6-Stunden-Tages – und warum man sie tragen sollte

Doch nicht in jeder Branche lässt sich der 6-Stunden-Tag ähnlich profitabel umsetzen, wie beispielsweise bei Toyota. Die Sahlgrenska-Universitätsklinik etwa musste nach der Einführung der 30-Stunden-Woche insgesamt 15 neue Kräfte einstellen, um die Orthopädie-Station rund um die Uhr besetzt zu halten. Ein teures Unterfangen. Und das ist auch das Hauptargument der Gegner des 6-Stunden-Tages. Das schwedische Experiment verschlingt pro Jahr rund acht Millionen Kronen, umgerechnet etwa eine Million Euro. So jedenfalls lautet die Rechnung der schwedischen Liberalen und Konservativen, die sich gegen den 6-Stunden-Tag aussprechen.

Daniel Bernmar, der Vorsitzende der schwedischen Linken, hält dagegen: Es dürfe nicht immer nur darum gehen, die Dinge effizienter und billiger zu machen, man müsse sie auch besser machen, vor allem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bernmar bringt damit auch den gesundheitlichen Aspekt des 6-Stunden-Tages auf den Tisch: Die Mitarbeiter der Firmen, die das Modell versuchsweise eingeführt hatten, seien signifikant seltener krank.

Stressreduktion durch meditative Praktiken

Studien bestätigen: Zu viel Arbeit macht uns krank

Dem Zusammenhang eines hohen Krankenstandes mit zu viel Arbeit haben sich in den vergangenen Jahren eine ganze Armee von Forscherinnen und Forschern gewidmet; nicht nur in Schweden, sondern auch in Deutschland. Mittlerweile gelten psychische Erkrankungen wie Depressionen oder das umstrittene Burnout-Syndrom hierzulande als zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit. Statistiken sprechen von rund 180 Krankheitstagen pro Jahr und je 1.000 Personen aufgrund von psychischen Problemen – und das nur im Falle der männlichen Arbeitnehmer. Bei Frauen sind es sogar rund 300 Tage.

Auch andere Erkrankungen lassen sich direkt auf ein Ungleichgewicht in der Work-Life-Balance zurückführen. Genauere Fakten nennt der Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: So leiden Menschen mit sehr langen Arbeitszeiten häufiger an Beschwerden wie Schlafstörungen, Rückenproblemen oder Magen-Darm-Erkrankungen. Das gelte vor allem für Menschen, die mehr als 48 Stunden in der Woche arbeiten. Als einem Menschen mit gesunder Lebensführung noch „zumutbar“ gelten deswegen Arbeitszeiten von 35 bis 40 Stunden pro Woche, ideal seien 30 bis 35 – oder eben ein 6-Stunden-Tag.

Fazit: Die Idee ist gut, scheitert aber an den Kosten

Deswegen machen sich, ähnlich wie in Schweden, auch in Deutschland viele kritische Stimmen für eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit stark. Hier sind es vor allem die Linke und das Netzwerk Attac. Hier wird die Einführung eines solchen Modells allerdings weiterhin an den Gewerkschaften scheitern, die derartige Vorschläge mit Verweis auf ihre Tarifautonomie abschmettern. Auch in Schweden werden die laufenden Experimente zum 6-Stunden-Tag noch in diesem Jahr aufgrund der steigenden Kosten beendet werden. Der Göteborger Stadtrat will den Mehraufwand nicht mehr tragen.