VON CHARLOTTE MEYER | 02.12.2015 14:37

Oft überhaupt nicht selbstlos – Schenkökonomien

Bald ist wieder Weihnachten und mit dem Fest kommt die Bescherung. Bei dem größten Fest im Jahr geht es oft um eins: Geschenke. Dass Geschenke oft nicht selbstlos sind, sondern etwas zurückfordern, kennen wir alle. Mit einer Wirtschaft des Schenkens hat sich der Franzose Marcel Mauss Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Über seine Erkenntnisse und darüber was ein ideales Geschenk ist, berichtet UNI.DE.





Geschenkwirtschaften fordern Gegenleistungen

Wenn ich jemandem etwas schenke, heißt das meistens, dass ich aus freien Stücken jemandem etwas gebe und dafür nichts zurückfordere. Tatsächlich unterliegt aber auch das Schenken bestimmten Mechanismen. Das kennen alle, die schon einmal richtig falsch gelegen haben mit einem Geschenk. Es war der Franzose Marcel Mauss, der 1923/24 als erster den Ausdruck „Schenkökonomie“ prägte. In seinem Werk „Essai sur le don“, was so viel heißt wie „Essay über die Gabe“, untersuchte er damals die Art und Weise des Gebens bei Indianerstämmen in Nordamerika. Er fand heraus, dass in Geschenkwirtschaften meistens eine Gegenleistung verlangt wird, allerdings ist diese nicht materiell oder unterscheidet sich in seiner Art vom ersten Geschenk. Meist passiert diese Gegenleistung zeitlich verzögert, das heißt, dass zum Beispiel auf eine Gabe nach einer gewissen Zeit Gastfreundschaft oder auch Loyalität folgen kann. Blutspenden, Filesharing oder auch die Open-Source-Bewegung sind alles klassische Beispiele von heute für solche Schenkverhältnisse.

Egoismus oder Gemeinschaftssinn

Das ideale Geschenk

Die Beweggründe, warum wir schenken, können ganz unterschiedlich sein. Der Philosoph Jacques Derrida beschrieb zum Beispiel eine ideale Gabe folgendermaßen: Sie darf keine Erwiderung, keinen Austausch, kein Gegengeschenk oder Schulden erzeugen. Nur so kann verhindert werden, dass der oder die Schenkende einen Vorzug durch das Geschenk erhält wie beispielsweise Lob, Dankbarkeit oder einfach nur das Gefühl, dass man etwas Kreatives getan hat. In einem Gespräch über ihren Dokumentarfilm zur Schenkkultur, spricht die Regisseurin Robin McKenna unter anderem über die Schattenseiten dieser Kultur. Ihrer Meinung nach gibt es ein Risiko, das mit dem Geben verbunden ist: Dass man nämlich nicht sicher sein kann, ob man tatsächlich etwas zurück erhält und am Ende so viel von sich gibt, dass nichts mehr für einen selbst übrig bleibt. Für Derrida wäre dies wahrscheinlich kein ideales Schenkverhältnis. McKennas Ansicht nach schenkt man, weil man das Verlangen danach hat.

Das ideale Geschenk = Geldtransaktion

Nimmt man das Idealbild einer Gabe von Derrida, kommt man im Grunde dem Mechanismus einer Geldüberweisung nahe. Bei einem idealen Geschenk sollen keine sozialen Beziehungen aufgebaut werden, sondern der oder die Schenkende gibt aus freien Stücken. Wenn Geld überwiesen wird und die Ware geliefert ist, sind zwei Parteien quitt. Im Idealfall sind also mit einer Gabe keine Erwartungen verbunden und der oder die Beschenkte gibt nichts zurück. Nur hört sich das alles sehr kühl an und vergisst den menschlichen Faktor des Schenkens: Wenn mir etwas geschenkt wird, bin ich dankbar und bestenfalls erzeugt das bei mir das Bedürfnis, etwas zurückzugeben. Das muss dann nicht unbedingt den Schenker oder die Schenkerin betreffen, sondern kann sich an andere Menschen meiner Gemeinschaft richten. Sicher ist es gefährlich, den Akt des Gebens so weit zu treiben, dass für einen selbst nichts mehr übrig bleibt oder dass man das Geben nur als Tauschhandel gegen eigene Erwartungen betreibt. Aber das richtige Geschenk auszuwählen ist nun einmal keine einfache Sache.