VON CLEMENS POKORNY | 08.07.2015 16:28

Pressefreiheit in Deutschland – Freiheit wovon oder wofür?

„Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.“ Diese Feststellung der Sozialistin Rosa Luxemburg lässt sich auch auf die Pressefreiheit anwenden. Auch in unserem freien und demokratischen Land bedeutet Pressefreiheit bekanntlich nicht, dass jede Meinung die gleiche Chance hat, wahrgenommen zu werden. Medien stehen unter starkem Konkurrenzdruck, nicht selten entscheiden die Interessen reicher Geldgeber darüber, was wir in der Zeitung lesen oder in (privaten) Fernsehsendern sehen.


„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ (Art. 5, Satz 1 GG) Das war nicht immer so. Erst im 18. Jahrhundert gab es auf dem Gebiet des heutigen Deutschland erste Bestrebungen, eine weitgehende Freiheit der Presse von staatlichen Beschränkungen gesetzlich zu verankern. Die Zeit der Restauration (Vormärz) brachte Rückschläge für unabhängigen Journalismus. Nach der Märzrevolution besserte sich die Lage allmählich, doch in der späten Weimarer Republik und schließlich während der nationalsozialistischen Diktatur waren die Medien von staatlicher Willkür abhängig – im Osten unseres Landes blieb dies bis 1989 so.

Profit vor Qualität

„Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Und: „Frei ist, wer reich ist.“ Damit hob der konservative Publizist Paul Sethe auf die Grenzen der Pressefreiheit im westlichen Nachkriegsdeutschland ab. Wer große Zielgruppen erreichen will, brauchte schon zu Sethes Zeit, in den 1960er-Jahren, immer mehr Geld. Die Einführung des Privatfernsehens, das Diktat der Quote bzw. der Auflage und die Notwendigkeit für Zeitungen, auch online vertreten zu sein, beschleunigten das Zeitungssterben und die Konzentration von Verlagen in den Händen einzelner weniger; sie bedrohen Meinungsvielfalt und Unabhängigkeit der Presse von privaten Geldgebern und ihren Interessen. Die Folgen: Immer mehr mittelgroße Zeitungen streichen ihre Redaktionen zusammen. In vielen ländlichen Regionen gibt es nur noch eine einzige Lokalzeitung, und durch ihr faktisches Monopol konzentriert diese viel Macht in punkto Meinungsbildung.

... [J]eder ... Eingriff ist einer zu viel.“ Mit diesen Worten rechtfertigt Michael Rediske, Journalist und einer der Gründer von „Reporter ohne Grenzen“ in Deutschland, seine Kritik an den Einschränkungen der Pressefreiheit im Deutschland des Jahres 2015. Selbstverständlich können Medienschaffende in Nord- und Mitteleuropa oder auch in Kanada freier von staatlicher Einflussnahme arbeiten als im großen Rest der Welt, selbstverständlich werden Journalisten bei uns kaum unter Druck gesetzt, verfolgt oder gar inhaftiert. Doch auch in Deutschland wird ihre Arbeit behindert. So arbeitete zwischen 2002 und 2009 eine verdeckte Ermittlerin der Kriminalpolizei in einem freien Radiosender in Hamburg mit, von dem nie Straftaten ausgegangen waren. Sie sollte die linke Hausbesetzerszene (Stichwort: Rote Flora) ausschnüffeln – und erstattete ihren Vorgesetzten über Interna eines Presseorgans Bericht. 2005 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Potsdam die Redaktionsräume des eher bürgerlich-konservativen Magazins „Cicero“. Das Medium hatte Zitate aus einem geheimen Terrorbericht des Bundeskriminalamts abgedruckt und der Staat interessierte sich natürlich dafür, wer den Journalisten Zugang zu dem vertraulichen Dokument verschafft hatte. Dieser Missachtung des Informantenschutzes schob das Bundesverfassungsgericht daraufhin 2007 einen Riegel vor. Doch ganz aktuell ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen Whistleblower, die Missstände im Bundesamt für Verfassungsschutz publik gemacht haben. Zudem hintertreiben staatliche Stellen bis heute immer wieder das 2006 bundesweit festgeschriebene Informationsfreiheitsgesetz, das allen Bürgerinnen und Bürgern Einsicht in staatliche Akten zusichert – z.B. durch Abwimmeln, hohe Bearbeitungsgebühren oder lange Bearbeitungszeiten. Man fragt sich: Wozu bedarf ein demokratischer Staat solcher Geheimniskrämerei?

Lügenpresse!“ Dieser mindestens 150 Jahre alte und historisch vielfältig konnotierte Begriff wird seit Oktober 2014 von der islam- und einwanderungskritischen Pegida-Bewegung für Medien gebraucht, die Pegida im Rahmen ihrer Berichterstattung z.B. Rassismus und Ausländerfeindlichkeit vorwerfen. Weil versucht werde, mit diesem Wort die Medien ohne Differenzierung besonders perfide zu diskreditieren, und weil „Lügenpresse“ historisch vorbelastet sei (v.a. Erster und Zweiter Weltkrieg), wählte die „Sprachkritische Aktion“ den Begriff zum „Unwort des Jahres 2014“. Man mag ihr zustimmen, dass der Vorwurf unwahrer oder verzerrender Berichterstattung in diesem Fall nicht haltbar ist. Doch auch aus der Mitte der Gesellschaft gab und gibt es ungefähr zur gleichen Zeit massive Kritik an der massenmedialen Darstellung des Ukraine-Konfliktes. In den meisten Artikeln z.B. der SZ oder auch in den Fernsehnachrichten ARD und ZDF wird grundsätzlich und unausgesprochen aus der ukrainischen Perspektive berichtet, sind die Russen immer die Bösen. Mit einseitiger Darstellung alte Feindbilder zu bedienen ist bequem; dem Anspruch der Rezipienten auf kritische, neutrale Information als Gegenleistung für Abonnements oder für die Zwangsabgabe an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird dies indes nicht gerecht. Pressefreiheit bedeutet aber immer das Frei-Sein der Medien von Voreingenommenheit. Wenn mehrere Organe dauerhaft gegen die Publizistischen Grundregeln („Pressekodex“) verstoßen, zu denen sich ab 1973 alle in Verbänden organisierten Medien und Journalisten verpflichtet haben, müssen sie sich fragen lassen, ob ihre Krise nicht wenigstens teilweise hausgemacht ist.