VON JOACHIM SCHEUERER | 13.09.2013 14:41

Politikverdrossenheit – vor allem ein Sprachproblem?

Während in vielen anderen Ländern wie z.B. Ägypten mühsam um die Möglichkeit freier, gleichberechtigter und stabiler Wahlmöglichkeiten gekämpft werden muss, scheint unser Land seit einigen Jahren von einer hartnäckigen Politikverdrossenheit geprägt zu sein, die häufig als Luxusproblem gerügt wird, was sie jedoch nur zum Teil ist. So mag es durchaus verwundern, wenn sich unsere vermeintliche Bildungselite konsterniert wie die Künstler des Biedermeiers in ihren heilen und idyllischen Elfenbeinturm zurück zieht.

Doch angesichts der gefühlten und von den Medien so vehement propagierten Zunahme der Komplexität unserer digitalen Hochgeschwindigkeitswelt, in welcher Informationen so zahlreich, rasant und kurzlebig geworden sind, und Authentizität so rar, angesichts eines Überflusses an Inszenierunsgtechniken und -zwängen in allen Lebensbereichen, ist es wenig verwunderlich, wenn sich eine überforderte und überrumpelte Jugend aus diesem System ausloggt.

Dies ist einer der Befunde der großen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit Berliner Studentinnen und Studenten, welche unter dem Titel "Sprichst du Politik" das Verhältnis von Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren zur Politik in den Fokus nahm. Ausgangsfrage der 27 Gruppeninterviews, welche an verschiedenen Berliner Schulen quer durch beide Sekundarstufen durchgeführt wurden, sowie der Online-Befragung von 30122 Schülern aller Schulstufen und Bildungsniveaus war folgende: “Wie muss die Sprache von Politiker/innen und politischen Institutionen sein, die jungen Bürger/innen ein Verstehen des Inhalts ermöglicht und den Austausch über politische Themen zwischen allen Beteiligten fördert?”

UNICEF-Studie: Deutsche Kinder sind unglücklich.

Die drei Hauptbotschaften dieser Studie sind zum einen, dass Jugendliche sich von den Politikerinnen und Politikern eine klarere, direktere und ungekünsteltere Sprache wünschen, die den Nachvollzug der komplexen Inhalte besser gewährleistet. Die auswendiggelernten rhetorischen Manöver und Streitereien wirken eher abstoßend denn fördernd. Der zweite Apell richtet sich an die Medien, denen Verstärkung der Undurchsichtigkeit der Politik, mithilfe ebenso komplizierter Paraphrasen und Pseudoerklärungen vorgeworfen wird. Zugleich befördern die Medien nur noch weiter die Inszenierungs- und Showtaktiken der Politiker, um ihre Quoten und Auflagen zu steigern. Der Politiker steht mitunter mehr im Fokus als seine Politik und die realen Probleme, die es zu lösen gilt. Die dritte Forderung der Schüler bezieht sich auf ihre Ausbildung, in der politische Bildung zu kurz komme. Hierbei räumt die Studie auch mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf, demnach Schüler die Eigenverantwortung in dieser Sache nicht wahrnehmen würden. Die Eigeninitiative beim Informieren über Politik ist vielen Schülern durchaus bewusst. Dennoch werden nicht genügend Hilfestellungen und Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit Politik durch die Schulen bereitgestellt. Das bisschen Sozialkunde bspw. in der Mittelstufe bereitet einen jungen Bürger sicherlich nicht ausreichend auf unsere politische Landschaft vor.

Diese Defizite resultieren nicht zuletzt aus der Unterordnung der Geistes- und Sozialwissenschaften unter pragmatisch-ökonomische Sachzwänge, sowie aus der Fokussierung auf die Naturwissenschaften in den letzten Jahren. Der kompetente und kritische Umgang mit Medien und Texten aller Art ist aber eben eine besondere Stärke der Geisteswissenschaften und diese wichtiger denn je, um dem vermeintlichen Chaos um uns herum Herr werden zu können. Sie ermöglichen die nötige Distanz, um unter Umständen den Weg heraus aus dem Politik-Dschungel und hin zu einem klareren Bild zu finden. Gleichzeitig fördern sie die geistige Kreativität und Flexibilität, sowie die Fähigkeit mit verkrusteten und überholten Konventionen, Traditionen und vermeintlichen Wahrheiten aufzuräumen. Und zu guter Letzt zeigen sie Möglichkeiten und Spielräume politischer Einflussnahme auf, die nicht immer so begrenzt sind, wie sie erscheinen.

Das Prinzip "Nichtwählen", wie es seit einigen Jahren Konjunktur hat, ist demnach zwar verständlich, aber deshalb immer noch nicht sinnvoll. Darüber hinaus beginnt und endet unsere politische Verantwortung und Macht nicht mit den Wahlen alle vier Jahre. Wenn sich die Sprache der Politiker verändern soll, müssen wir zunächst selbst wieder mehr über Politik sprechen.