VON CLEMENS POKORNY | 13.11.2014 14:00

Liebe deinen Nächsten?

Über Liebe und Sexualität haben die katholische Kirche einerseits und ihre Mitglieder andererseits sehr unterschiedliche Auffassungen. Beide Seiten können diese gut begründen und eine Annäherung ist auch unter Papst Franziskus noch nicht absehbar. Über katholische Prinzipien zur Ehe gibt es überdies weit verbreitete Irrtümer. UNI.DE sieht näher hin, liefert interessante Informationen und Erklärungen – auch zur Haltung der evangelischen Kirche – und stellt kritische Fragen.

Zwischen Zuneigung und Sexualität liegt ein so schmaler Grad, dass, wer über das Verhältnis der Kirche zum Thema Liebe nachdenkt, nicht umhin kommt, beide Seiten zu betrachten. Der oft beklagte und kürzlich durch Umfragen festgestellte Widerspruch zwischen der Sexualmoral, die insbesondere die katholische Kirche predigt, und derjenigen, die ihre Mitglieder – geweihte wie Laien – leben, wird auch unter Papst Franziskus nicht wesentlich geringer. Ein näherer Blick auf diese Fragen lohnt sich.

Wissen, Wahrheit und Gewissen

Nach kirchlicher Auffassung soll ein Liebespaar heiraten, wenn es miteinander leben will, damit sein ewiger und unauflöslicher Bund von Christus gesegnet werde. Um gleich mit einem Vorurteil aufzuräumen: Eine Ehe einzugehen setzt nicht voraus, dass beide Partner noch jungfräulich sind. Es kommt nur darauf an, ob die Frau ihren Zukünftigen in puncto ihrer Jungfräulichkeit belogen oder getäuscht hat. Patriarchales Denken? Priester entgegnen: Es lässt sich nun mal von Natur aus nur bei der Frau nachweisen, ob sie mit Sicherheit noch keinen vorehelichen Verkehr hatte oder nicht. Mit der Einschränkungen, sicherlich. Doch woraus sollte ein Mann den Anspruch ableiten können, dass seine Frau noch jungfräulich zu sein hat, zumal wenn auch andernfalls eine gültige Ehe zustande kommen kann?

Ein weiteres Ehehindernis aus katholischer Sicht besteht, wenn einer der beiden Partner zum Beischlaf (nicht zur Zeugung) unfähig ist. Ein italienischer Bischof verbat daher vor einigen Jahren einem querschnittsgelähmten Mann den Ehebund. So empörend fortschrittliche Menschen das finden mögen – aus kirchenrechtlicher Sicht ist die Konsequenz berechtigt: Denn eigentlich vollzogen wird die Ehe erst im Geschlechtsakt zwischen Mann und Frau, die die Kirche ja als von Gott füreinander geschaffen sieht. Damit erledigen sich für viele gläubige Katholiken auch Diskussionen um gleichgeschlechtliche Liebe und die Homoehe.

Ganz anders sieht das die evangelische Kirche. Während Katholiken die Eheschließung als Sakrament betrachten, also als einen sichtbaren Beweis für unsichtbares göttliches Wirken – nämlich der Stiftung des Ehebundes –, segnen reformierte Geistliche eine staatlich geschlossene Ehe oder eingetragene Partnerschaft nur noch. Protestantische Pastorinnen und Pastoren trauen daher in Ländern wie Schweden, Dänemark und Island, aber auch in einzelnen Regionen anderswo (z.B. im westfälischen Münster) auch homosexuelle Liebespaare.

Katholiken dürfen übrigens – anders als Protestanten – seit 2009 in Deutschland auch dann kirchlich heiraten, wenn sie nicht zuvor standesamtlich getraut wurden: Als Sakrament gehört die katholische Ehe eben sozusagen zu einer anderen Dimension als die weltliche Ehe. Allerdings erst seit dem Jahr 1139 (Zweites Laterankonzil) – die Position der katholischen Kirche zur Ehe war also nicht immer die gleiche.

Mit der Ehelosigkeit katholischer Priester verhält es sich genauso: Das Enthaltsamkeitsgebot für Geistliche besteht seit 306, in den folgenden Jahrzehnten wurden ihren etwaigen Ehen immer mehr Auflagen gemacht, doch es dauerte noch bis zum erwähnten Zweiten Laterankonzil, bis das allgemeine Eheverbot für Priester festgeschrieben wurde. Ironischerweise könnte der Zölibat den Effekt haben, dass sich vor allem Gläubige mit solchen sexuellen Identitäten für den Priesterberuf entscheiden, mit denen die katholische Kirche ein Problem hat. Denn forciert der Zölibat nicht, dass viele homosexuelle oder auch pädophile Konservative die Priesterweihe anstreben – nicht zuletzt deshalb, weil sie dann niemand aus ihrem (mitunter schwulenfeindlichen) Umfeld darauf anspricht, warum sie denn noch immer nicht verheiratet seien? Darauf erwidern Katholiken gerne, dass dies erstens nicht bewiesen sei und dass es in der katholischen Kirche auch nicht mehr Missbrauchsfälle homoerotischen und -sexuellen Charakters gebe als in der Gesamtbevölkerung. Insider widersprechen dem: Sie schätzen den Homosexuellenanteil unter den katholischen Priestern auf mindestens 50%. Wie viele pädophile Prister es gibt, lässt sich schwer schätzen. Doch die zahlreichen entsprechenden Skandale wie kürzlich derjenige um die massive sexuelle Belästigung von Schweizergardisten im Vatikan lassen die Frage berechtigt erscheinen, ob da nicht ein internes Problem totgeschwiegen wird. Fakt ist: Jahrzehntelang hat die Kirche ihre Hand schützend über Priester gehalten, die Kinder mehr lieben als ihnen lieb sein kann, und damit eine zumindest fragwürdige „Nächstenliebe“ praktiziert. Muss sie sich nicht eingestehen, dass ein nicht unerheblicher Anteil ihres Personals einer nicht nur innerhalb der Kirche, sondern sogar gesamtgesellschaftlich geächteten Fleischeslust zu wenig entgegensetzen kann?

Die nächsten Jahre werden zeigen, wie Papst Franziskus mit sexuell vom Mainstream abweichenden Priestern umgeht. Dass er erklärt hat, über Homosexuelle kein Urteil fällen zu wollen, könnte man immerhin auch als Signal an die Schwulen unter seinen Priestern verstehen. Vielleicht wird die katholische Kirche ja eines Tages anerkennen, dass eine Frau auch eine Frau lieben kann und ein Mann einen Mann – aus der Sicht gläubiger Homosexueller wäre das ein echter Akt der Nächstenliebe. Die ersten Reaktionen des Vatikan auf die Umfragen, nach denen sich nicht die Kirche ändern muss, sondern ihre Schäfchen strenger unterwiesen werden sollen, geben allerdings wenig Anlass zu der Annahme, dass die Kirche ihre Haltung zu Ehe, Familie und Sexualität überdenken will.