VON MAXIMILIAN REICHLIN | 24.08.2014 19:15

Lass es mich dir zeigen – Gebärdensprache und ihr Ursprung

Die menschliche Sprache ist ein einzigartiges Mittel zur Verständigung. Doch sie steht nicht allen Menschen offen. Stumme oder gehörlose Menschen sind oft nicht in der Lage, die Lautsprache überhaupt zu erlernen. Sie verwenden stattdessen eine Gebärdensprache, mit deren Hilfe sie sich per Gestik und Mimik mitteilen können. Die Gebärdensprache hat eine lange Tradition und eine faszinierende Geschichte. UNI.DE gibt einen Fingerzeig auf Ursprung und Funktionsweise der Gebärdensprache.



Gebärdensprache funktioniert ähnlich wie jede gesprochene Sprache. Sie verfügt über Vokabeln, die der Gehörlose erlernen muss und sogar über ein gewisses grammatikalisches System, auch wenn dieses nicht so stark ausgeprägt ist, wie in gesprochenen Sprachen. So können einzelne Gesten verschiedene Bedeutungen haben, die sich erst durch den Kontext oder die Mimik des Sprechers erschließen lassen. Ein einfacher Satz wie „Gibst du mir die Flasche?“ würde etwa so lauten: „Du – Flasche – geben – ich.“ Alleine die Gebärde für „Ich“, eine deutende Geste mit dem Zeigefinger auf die eigene Brust, kann also, je nach Situation, verschiedene Fälle annehmen. Das macht die Gebärdensprache zu einer stark situationsgebundenen Verständigungsform.

Synästhesie

Dabei werden Substantive, etwa „Flasche“ oder „Buch“ sehr ikonisch dargestellt, das Buch etwa durch eine Geste, die das Halten eines imaginären aufgeschlagenen Buches andeutet. Deswegen sind Gehörlose überall auf der Welt in der Lage, sich relativ unkompliziert miteinander zu verständigen, selbst wenn es regional begrenzte Dialekte gibt. Die „Deutsche Gebärdensprache“ (DGS) ist etwa die Gebärdensprache, wie sie in Deutschland gebräuchlich ist, daneben existieren allerdings noch viele weitere Systeme. Am weitesten verbreitet ist dabei die „American Sign Language“ (ASL), wie sie in Nordamerika, Teilen Zentral-Amerikas, der Karibik und sogar in einigen afrikanischen und asiatischen Staaten gebräuchlich ist.

Die Geschichte der Gebärdensprache oder der Gebärdensprachen beginnt relativ früh. Schon im 16. Jahrhundert soll es in Spanien Klosterschulen gegeben haben, wo gehörlose Kinder adliger Familien mithilfe einfacher Gebärden unterrichtet worden sein sollen. Eine Revolution der Gebärdensprache erfolgte allerdings erst im 18. Jahrhundert in Frankreich. Der Mönch Abbé de l'Epée gründete dort 1755 die erste öffentliche Schule für Gehörlose. Die Sprache, die er dazu mit Hilfe von „Straßengesten“ in Kombination mit der französischen Grammatik erfand, wurde sehr populär. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts existierten in Europa etwa 20 öffentliche Schulen für Gehörlose, darunter auch eine in Leipzig.

Allerdings wurden diese frühen Formen der Gebärdensprache von Sprachwissenschaftlern lange nicht als eigentliche Sprache anerkannt und 1880 sogar auf dem Mailänder Kongress aus dem Schulunterricht verbannt. Vergebens legten verschiedene gehörlose Gruppierungen dagegen Einspruch ein. In Deutschland begann die Wissenschaft erst sehr spät, in den 80er Jahren, sich mit der in Deutschland gebräuchlichen DGS auseinanderzusetzen, womit eine ernsthafte Gebärdensprachwissenschaft begann. In Frankreich dauerte es sogar noch länger, bis die Sprache der Gehörlosen ihren alten Status wiedererlangen konnte – hier wurde das Sprachverbot an Schulen erst 1991 wieder aufgelöst.

Heute ist die Gebärdensprache fester Teil des gesellschaftlichen Bildes geworden. In Deutschland, wie etwa auch in den USA, wo Gehörlose als Minderheit angesehen werden, werden zu bestimmten Anlässen nicht selten Dolmetscher zur Verfügung gestellt, die das Gesprochene in die jeweilige Gebärdensprache übersetzen. Auch Ausbildungen zum Dolmetscher existieren. In Deutschland bieten beispielsweise die Universität Hamburg und die Humboldt-Universität in Berlin solche und ähnliche Ausbildungen und Kurse im Vollzeitstudium an.