VON CLEMENS POKORNY | 08.01.2016 15:23

Europa fischt im Trüben

Jahrelang hat die EU die industrielle Fischerei gefördert – mit entsetzlichen Folgen für Meere und Menschen gleichermaßen. Wir sind nicht nur längst in der Lage, die Ozeane leer zu fischen, wir (fast) alle tun es bereits, nämlich mit unseren Kaufentscheidungen im Supermarkt. Dabei könnte auch nachhaltige, lokale Küstenfischerei die Menschheit ernähren. Vorerst bleibt als Lösung nur der Griff zu MSC-zertifiziertem oder Bio-Fisch.

16 Kilogramm Fisch isst jeder Deutsche pro Jahr, umgerechnet etwa 300 Gramm wöchentlich. Das entspricht ungefähr den ein bis zwei Portionen. Doch bieten unsere Gewässer auch genug für unseren Fischhunger?

Industrialisierung hat nicht nur in der Landwirtschaft stattgefunden, sondern auch – mit einiger Verzögerung – in der Fischerei. Weltweit gesehen machen die großen Schiffe (über 12 Meter Länge) nur 15% aller für den Fischfang eingesetzten Wasserfahrzeuge aus, und bei nur 2% lässt sich von industriellen Maßstäben sprechen (mehr als 24 Meter Länge). Doch mit diesen 2% wird mehr Meeresgetier gefangen als mit den übrigen 98% zusammen!

Das liegt an einerseits an komplexer Technik; mit 3D-Sonargeräten und Satellitennavigation lassen sich Fischschwärme metergenau aufspüren. Auch die Fangmethoden werden immer professioneller. So wurde beispielsweise festgestellt, dass viele Meeresbewohner instinktiv den Schatten von großem Treibgut suchen. Diesen Umstand macht sich die Fischerei zunutze und bringt künstliche Plattformen (Fischsammler, engl. FADs) aus, um die nach einiger Zeit ein riesiges, ringförmiges Netz gezogen wird. Andererseits haben die politischen Entscheidungsträger insbesondere in der EU die industrielle Fischerei jahrelang massiv subventioniert, statt lokale Küstenfischer zu fördern. Die wenigen großen europäischen Fischerei-Konzerne nutzen zudem bis heute viele Tricks, um in den Genuss von Steuervergünstigungen zu kommen – zum Beispiel dadurch, dass sie unter der Flagge anderer Nationen segeln und ihre Gewinne im steuerlich günstigeren Ausland versteuerten statt in Europa. Und Arbeitsplätze haben sie hier auch kaum geschaffen: Insbesondere die Verarbeitung des Fangs erfolgt in Entwicklungsländern zu Billiglöhnen.

Diese industrielle Art der Fischerei hat massive Folgen für die Meere und ihre Bewohner. Mit gigantisch großen Netzen – manche von ihnen könnten zwölf Jumbo-Jets schlucken – oder den oben erwähnten FADs lässt sich „Beifang“ nicht vermeiden, also nicht erwünschte Tiere, die nach dem Einholen des Netzes wieder über Bord geworfen werden. Doch zu diesem Zeitpunkt sind sie meist bereits schwer verletzt oder tot – erdrückt in den Netzen, innerlich geborsten durch die Geschwindigkeit, mit der sie aus der Tiefsee gezogen wurden, erdrosselt in den Maschen oder – im Fall von Meeressäugern – ertrunken in den Netzen oder an den Haken kilometerlanger Fangleinen. Einige Netze werden auf Stahlwalzen oder mit Harken über den Meeresgrund geschleift, die Pflanzen und über Jahrtausende gewachsene Korallenriffe zerstören und eine Mondlandschaft hinterlassen.

Wie aus Fischern Piraten wurden

Und wie reagiert die EU-Politik? Sie legt Jahr um Jahr Fangquoten fest, die erheblich über den von der Wissenschaft empfohlenen Zahlen liegen. So braucht man sich nicht zu wundern, dass mittlerweile 90% der Speisefischbestände in den Weltmeeren als überfischt (29%) oder zumindest maximal genutzt (61%) gelten. Die Folgen, die die massenhafte Entnahme bestimmter Arten aus einem Gebiet für das dortige Ökosystem zeitigt, lassen sich nur schwer abschätzen. Die Auswirkungen auf die lokale Küstenfischerei dagegen sind bekannt. Vor allem vor verschiedenen Küsten Afrikas fischen Europas Trawler den Ozean leer und treiben die örtlichen Fischer damit entweder in den Ruin oder in die Arme radikaler Islamisten (man denke etwa an die Piraten vor Somalia, s. Infobox). Zynischerweise landet viel vom derart gefangenen Fisch auf afrikanischen Märkten – das Geld dafür jedoch in den Taschen der reichsten Fischerei-Familien in Europa. Erst seit 2015 müssen in der EU bei der Vergabe der Fangrechte auch soziale und ökologische Kriterien berücksichtigt werden.

Doch noch immer werden Fangquoten in Europa auf den Druck der Fischereikonzerne hin zu hoch angesetzt, noch immer werden wiederholt schwere Verstöße gegen Auflagen zum Tier- und Umweltschutz festgestellt, noch immer haben traditionelle Fischereinationen wie Spanien viel zu große Flotten und noch immer wenden diese moralisch unverantwortliche Methoden an. Wie meistens in unserem Wirtschaftssystem gelten die Prinzipien der rücksichtslosen Gewinnmaximierung und des kurzfristigen Profits auf Kosten der Allgemeinheit. Und das, obwohl internationale Gewässer eigentlich Allmenden sind, deren Nutzen allen zugute kommen sollte.

Was kann die oder der Einzelne nun tun, wenn auf die „Erzeugnisse“ der Fischerei nicht generell verzichtet werden will? Das MSC-Siegel hat keine besonders hohen Standards gesetzt, aber Fisch mit dieser Auszeichnung ist immerhin besser als ohne. Auch Aquakultur taugt nur bedingt als Alternative, ist sie doch zumindest in Asien (Pangasius!) mit immensen Gifteinträgen in benachbarte Gewässer verbunden. Wie bei Fleisch gilt also vorerst auch hier: Fisch kauft man am besten im Bioladen oder, wenn er aus dem Süßwasser stammen soll, beim örtlichen Züchter.