VON MAXIMILIAN REICHLIN | 03.10.2014 14:49

Liebe deinen Nächsten – Deutscher Ethikrat plädiert für die Abschaffung des Inzestverbotes

Geschlechtsverkehr zwischen leiblichen Geschwistern steht nach geltendem deutschen Recht unter Strafe. Nun jedoch hat der deutsche Ethikrat eine Stellungnahme veröffentlicht, in der die Mehrheit der Mitglieder für eine Abschaffung des Inzestverbotes plädiert. Anlass gab der Fall eines Geschwisterpaares aus Sachsen. Warum Kritiker immer noch für ein Verbot der Geschwisterliebe einstehen und welche Argumente der Ethikrat dagegen vorbringen kann zeigt UNI.DE.

Obwohl Inzest, also der Geschlechtsverkehr zwischen Blutsverwandten, in Deutschland nicht nur ein gesellschaftliches sondern auch ein strafrechtlich verfolgtes Tabu darstellt, hat der von der Bundesregierung beauftragte Ethikrat dennoch eine öffentliche Diskussion zum Thema abgehalten. Am 24. September folgte nun die offizielle Stellungnahme des Gremiums aus Naturwissenschaftlern, Medizinern, Philosophen und Theologen. Mit einem überraschenden Ergebnis. 14 der insgesamt 25 Mitglieder des Ethikrates plädierten für eine Aufhebung des Inzestverbotes in Deutschland.

Die Macht der Gene

Dafür nannten die Befürworter des Votums zwei Argumente: Erstens gäbe es keine Rechtfertigung, den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen mündigen Bundesbürgern zu begrenzen oder zu standardisieren. Das Strafrecht sei nicht das geeignete Instrument, um ein gesellschaftliches Tabu wie das des Inzest aufrecht zu erhalten. Zweitens, so führte der Ethikrat aus, beschränke sich der Inzest zwischen Geschwistern in Deutschland meist auf sehr wenige Einzelfälle, in denen Halbgeschwister nicht zusammen aufgewachsen seien und sich erst im Erwachsenenalter kennengelernt hatten.

Ein solcher Fall machte vor einigen Jahren Schlagzeilen. Nachdem Patrick S. im Jahr 2000 eine Liebesbeziehung mit seiner Halbschwester begann und mit ihr mehrere Kinder zeugte, wurde der Sachse wiederholt von deutschen Gerichten mit Haftstrafen belegt. Der Grund: Inzest ist nach dem Paragrafen 173 des Strafgesetzbuches strikt verboten. Patrick S. Legte dagegen Einspruch ein, einmal im Jahr 2008 vor dem Bundesverfassungsgericht, zuletzt 2012 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Beide Male war entschieden worden: Das deutsche Inzestverbot ist rechtens und verstößt nicht gegen die Menschenrechte. Patrick S. ist somit ein Straftäter.

Diesen Fall nahm der Ethikrat zum Anlass für die Diskussion. Lediglich neun Mitglieder sprachen sich dabei als Befürworter des Inzestverbotes aus, einerseits aufgrund der Gefahr genetischer Missbildungen bei etwaigen Kindern. Der Psychologe Michael Wunder, ebenfalls Mitglied des Ethikrates, gab jedoch zu bedenken, dass sich ein Zeugungsverbot und damit das Inzestverbot im Allgemeinen damit nicht rechtfertigen lasse. Paaren mit einem erhöhten Risiko auf Mukoviszidose oder andere Krankheiten und Missbildungen würde ja auch kein strafrechtlicher Riegel vorgeschoben.

Das größte Problem sahen die Gegner des Mehrheitsvotums allerdings in der Destabilisierung der Familienverhältnisse. Nicht nur die durch die Inzestbeziehung neu gegründete Familie leide konkret unter der Verwischung von klassischen Elternrollen, auch bestehende Familien könnten durch eine Aufhebung des Inzestverbotes zerstört werden. Wenn ein 25-jähriger Bruder etwa aus dem Elternhaus ausziehe und später mit seiner 15-jährigen Schwester ein sexuelles Verhältnis eingehe, sei der Familienschutz dadurch radikal gefährdet. Ein solcher Fall würde, geht es nach der Mehrheit des Ethikrates, nach Aufhebung des Inzestverbotes nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Es ist nun allerdings abzuwarten, ob und wie die Bundesregierung auf die Einschätzungen des Ethikrates reagieren wird, denn die Stellungnahme des Gremiums alleine reicht nicht aus, um das Inzestverbot zu ändern oder zu streichen.