VON JULIA ZETZ | 10.03.2014 12:50

Die Gedanken sind frei

Als ich noch ein Kind war, habe ich die Welt mit anderen Augen gesehen. Jedes Blatt, jeder Ast, jeder Gegenstand konnte Teil eines großen Abenteuers werden. Ich stellte mir vor, wie ich als kleine Fee auf dem Blatt über die Weltmeere flog. Wie aus dem Ast ein Besen wird und ich als Hexe den blöden Nachbarsjungen verzauberte. Das fehlt mir manchmal, meine kindliche Phantasie, die mich aus dem tristen Alltag holte und mich in fremde Welten bringt. Doch ab und zu habe ich auch heute noch Momente, in denen ich ganz unbewusst dem Leben entfliehe und mich in einer anderen Welt wieder finde. Zwar ist diese Welt nicht von Feen und Hexen bewohnt, aber sie ist immerhin nicht in der grauen Realität.


Es ist Sonntag, mein heiliger Tag. Ich lerne nicht, ich arbeite nicht, ich wasche keine Wäsche. Ich lebe einfach in die sonntägliche Leichtigkeit hinein. Und komischerweise beginnt das manchmal mit unsinnigem aus dem Fenster starren. Nicht weil etwa meine Aussicht so schön wäre, nein, ich lasse meinen Gedanken freien Lauf. Was mir dabei durch den Kopf geht? Alles und Nichts, nur eines weiß ich ganz sicher: Ich erträume mir meine Welt mit kindlicher Phantasie.

Einmal mehr Zeit bitte...

Ich bin dann mal weg

Ich stelle mir vor, was wäre wenn. Ich weiß, das klingt seltsam, aber ich empfinde es als äußerst heilsam, mir vorzustellen, was passiert wäre, wenn ich in meinem Leben andere Wege gegangen wäre. Manchmal stelle ich mir vor, wie schön es gewesen wäre, wenn sich meine Eltern nicht hätten scheiden lassen. Ich stelle mir dann vor wie es sein könnte, abends gemeinsam zu essen, einen Film anzusehen oder einfach nur wie wundervoll es wäre, als Kind nicht nur Streitereien gehört zu haben, sondern Harmonie zu erleben. Vielleicht wäre dann auch meine Berufswahl anders ausgefallen, denn ich stelle mir vor, wie ich nach der Grundschule auf das Gymnasium gewechselt wäre, das Abitur gemacht hätte und ein Studium begonnen hätte. Wie leicht wäre es gewesen zu Hause bei den Eltern zu wohnen, zu studieren und nebenbei zu jobben. Keine Schulden für das Studium, keine 60-Stunden Uni-Arbeits-Woche, damit ich meine Miete zahlen kann.

Oft fließen mir die Gedanken auch nur so durch den Kopf, ich denke an dies und das, überlege, wie etwas sein könnte und segle langsam aber stetig in meine eigene kleine Phantasiewelt hinein. Dort bin ich der Chef und habe das Sagen. Ich habe Einfluss auf das, was ich erlebe und fühle. Die Probleme bleiben vor den kleinen Toren meiner Phantasiewelt.

Was wären wir ohne unsere Phantasie?

Manchmal weiß ich aber auch nicht mehr genau, in welche Welt es mich verschlagen hat. Vielleicht war ich eine Ärztin, die Menschenleben gerettet hat oder eine Astronautin, die ihre ersten Schritte auf dem Mond gemacht hat. Grundsätzlich ist es auch egal, wo mich meine Phantasie hinführt, denn ich glaube, wer seine Phantasie verloren hat, hat den Bezug zum Leben verloren. Klingt widersprüchlich? Ganz im Gegenteil: Wer immer nur in der Realität lebt, seine Probleme und Sorgen nicht für ein paar Minuten zur Seite schiebt und die Flucht in die Phantasie ergreift, der wird niemals ein Stück seiner kindlichen Leichtigkeit behalten.