VON RICHARD KEHL | 08.07.2011 15:13

Gestatten, Diplom-Astrologe. Über den Vormarsch der Esoterik in der Wissenschaft

Im ZEIT Magazin war vor kurzem zu lesen: Esoterik ist auf dem Vormarsch. Davon sei die Wirtschaft ebenso betroffen wie deutsche Hochschulen. Auch Studenten und Professoren halte Esoterik immer mehr Einzug. Was steckt dahinter? Wird es bald einen Diplomstudiengang Astrologie oder „Glaskugel lesen“ geben?

Bundesweit soll es mindestens 17 Universitäten mit alternativen, pseudowissenschaftlichen Lehr- und Forschungsangeboten geben, in denen die Esoterik auf dem Vormarsch ist. Besonders betroffen ist offenbar die Medizin. So steht etwa in der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder Homöopathie auf dem Lehrplan – Kurse in Ayurveda und anthroposophischer Medizin sind geplant. Finanziert wird der umstrittene Studiengang durch Studiengebühren und private Investoren. Einer der Investoren ist eine Firma, die homöopathische Präparate produziert.

In der Vergangenheit ist die Universität Viadrina nicht besonders aufgefallen. Die Geschichte der Universität reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück: Hier studierten bereits Wilhelm und Alexander von Humboldt. Nach der Neugründung der Universität Viadrina 1991 standen prominente Persönlichkeiten an der Spitze der Hochschule wie Gesine Schwan, die zweimal für das Bundespräsidentenamt kandidierte, und aktuell Gunter Pleuger, der Deutschland früher bei den Vereinten Nationen vertrat. Er prophezeit der Universität, dass sie auf dem führenden Weg als Zentrum der Komplementärmedizin sei.

In Zusammenhang mit der Universität Viadrina tauchen immer Verbindungen zur Esoterik auf. Marco Bischof, mittlerweile wissenschaftlicher Mitarbeiter der Viadrina, schrieb über den Gralsmythos, elektronische Magie und Ufos – erschienen nahezu nur in Esoterikpostillen. Dietmar Cimbal, promovierter Tiermediziner, trat als astrologischer Ernährungs- und Lebensberater in Erscheinung. Die Universität Viadrina hat ihn nun zum Gastprofessor für Biokybernetik und Bioregulation berufen. Harald Walach wiederum versucht, paranormale Esoterik-Phänomene mit einer großzügigen Auslegung der Quantenphysik zu erklären. In der Esoterikszene wird das als Durchbruch bejubelt. An der Universität Viadrina leitet Wallach seit kurzem das Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften. Dort können Ärzte, Apotheker und Therapeuten einen berufsbegleitenden Studiengang in Komplementärmedizin belegen und mit einem Master of Arts abschließen – Promotion zum Dr. phil. möglich. An ersten Dissertationen wird bereits gearbeitet.

Auch auf Landesebene erfährt die Esoterik ungeahnte Beachtung: So bezuschusst das Land Nordrhein-Westfalen Fortbildungen für die berüchtigten Familien-Aufstellungen zu 50% mit. Die finanziellen Mittel stammen hier aus Europäischen Sozialfonds. Und schließlich mischt sogar die Bundesagentur für Arbeit mit: Unter den Bildungsgutscheinen für Erwerbslose findet sich mittlerweile auch eine Weiterbildung zum Astrologen. Ein moralisches Problem sieht die Bundesagentur für Arbeit darin nicht, sondern erklärt lapidar, die Astrologie sei sicher keine wissenschaftlich anerkannte Disziplin, aber eine, für die es einen Arbeitsmarkt gebe.

Selbst in Unternehmen und Gewerkschaften ist Esoterik auf dem Siegeszug: Manche Personaler wählen ihr Personal nach Schädelform, Sternzeichen oder anderen esoterischen Merkmalen aus.

Medizin ist ein weites Feld und viele Kulturen pflegen andere, erfolgreiche Methoden zur Behandlung von Krankheiten und Symptomen, als in unserer Schulmedizin üblich. Aber Esoterik und Wissenschaft in einem Atemzug, da sträuben sich bei vielen dann doch die Nackenhaare. Zu groß ist der Spielraum von Interpretation und Manipulation, zu groß die Gefahr, Abhängigkeiten zu schaffen und zu missbrauchen. Nicht umsonst heißt ein Sprichwort: Glaube kann Berge versetzen. Und viele Menschen wollen gerne glauben.