VON JANINA TOTZAUER | 23.01.2017 12:02

Das Propaganda-Dreieck

Die Kamera filmt ein junges Mädchen. Ihr Haar ist akkurat zu einem Zopf gebunden, der Pullover ist weiß. Sie sitzt an einem Rednerpult, zwei Mikrofone verstärken ihre Stimme, die unter der Last der Tränen immer wieder abbricht. Sie schildert ihren Besuch in der Heimat Kuwait, den Einmarsch der irakischen Soldaten und die Gräueltaten, derer sie Zeugin wurde. Sie erzählt von der Frühgeborenen-Station, in welcher sie arbeitete. Von Soldaten, die die Neugeborenen aus ihren Brutkästen reißen und zum Sterben auf dem Boden zurücklassen. Ihr Englisch ist gut, die Tränen echt, ihr Auftritt herzzerreißend. Wir schreiben den zehnten Oktober 1990 und Millionen von Amerikanern sehen vor den Fernsehschirmen ein Mädchen namens Nayirah weinen. Ihre Rede vor dem Menschenrechts Rat wird als einer der Auslöser des ersten Irak-Krieges in die Geschichte eingehen.


Zugleich spielt Nayirah eine wichtige Rolle in einer der größten Propaganda-Aktionen der amerikanischen Geschichte. Ihre Worte und Tränen nähren den Hass der westlichen Zivilbevölkerung gegen den Irak und rechtfertigen damit den Eingriff der USA in die Auseinandersetzungen zwischen Kuwait und dem Irak. Die PR-Aktion um Nayirah lenkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weg von der wirtschaftlichen Streitfrage um den Ölhandel hin zu einem emotionalen Thema, mit dem sich die zivile Bevölkerung identifizieren kann. Die Propaganda fruchtet und die USA marschieren ungehindert gegen den Irak auf.

Die Maschinerie hinter der Propaganda

Was hier im Namen eines jungen, vermutlich relativ ahnungslosen Mädchens passierte, steht für eine Propaganda-Aktion par excellence. Aufgeklärt wurde die Manipulation erst ein Jahr später durch die Berichterstattung freier Journalisten, die im vom Krieg verwüsteten Kuwait Nayirahs Geschichte nicht bestätigt fanden. In diesem Fall wurde die manipulierende Propaganda-Maschine, die die Meinung der Bevölkerung auf Krieg eichen sollte, aufgedeckt. Doch wie oft blieb eine gute Inszenierung verborgen? Die Maschinerie die sich dahinter verbirgt ist nicht einfach zu durchschauen. Eine Hauptsäule der Propaganda bilden Vertreter der Massenmedien, ohne die die Verbreitung manipulativer Inhalte nicht möglich wäre. Den Auftrag erteilen die großen Wirtschaftskonzerne, auf deren finanzielle Unterstützung kein marktführender Medienkonzern mehr verzichten kann. Wo früher die Arbeit der Journalisten und die Druckkosten allein durch den Verkauf gedeckt wurden, werden die Medien heute fast ausschließlich von Wirtschaftsunternehmen finanziert. Die Folgen sind offensichtlich: Wo ein Unternehmen Geld in eine Zeitung steckt, möchte es bestmöglich repräsentiert werden. So würde sich zum Beispiel kein Journalist, der für eine von einem Tabakkonzern finanzierte Zeitung arbeitet und seinen Job behalten möchte, negativ gegen den Konsum von Tabak äußern. Die dritte Säule des Propaganda-Apparates repräsentiert die Politik, die ihre Interessen ebenfalls in der Presse vertreten sehen will. Im Gegenzug versprechen sich die wirtschaftlichen Unternehmen, die hinter den Medien stehen, unter anderem Steuervorteile und konzerngünstige politische Entscheidungen. Das Ergebnis ist ein undurchsichtiges Propaganda-Dreieck mit einem Haufen Hintermännern aus Wirtschaft und Politik, und einer unfreien Berichterstattung.

Investigativer Journalismus

Propaganda 2.0: Das Astroturfing

Eine der neuesten Errungenschaften der Propaganda ist das Astroturfing. Der Name verweist auf eine bekannte amerikanische Kunstrasenfirma und bezieht sich auf die Geschichte der Grassroots-Bewegungen. Grassroots (zu Deutsch Graswurzel) nennen sich autonome, allein von ihren eigenen Überzeugungen geleitete Bewegungen, die direkt aus der Bevölkerung entstehen. Eine Astroturfing-Kampagne täuscht eine solche Initiative vor. So kann - rein fiktional gesprochen - zum Beispiel ein Politiker eine PR-Agentur mit einer Astroturfing-Kampagne beauftragen. In der Umsetzung wird die Meinung der Bevölkerung daraufhin auf verschiedensten Kanälen manipuliert: Auf online-Foren, Blogs und Magazinen posten scheinbar normale Bürger ihren Argwohn gegen die politischen Gegner oder sprechen sich für das Wahlprogramm des Auftraggebers aus. Manipulierte Leserbriefe finden ihre Plätze in diversen Lokalzeitungen und manchmal poppen ganze „Bürgerinitiativen“ gegen die vermeintlichen politischen Gegner aus den Untiefen des Internets. Das Verheerende einer Astroturfing-Kampagne ist dabei, dass dem Konsumenten vorgetäuscht wird, scheinbar neutrale Bürger und Bürgerinnen hätten sich unabhängig ihre Meinung gebildet und kundgetan. Dem Rezipierenden ist im Gegensatz zu normaler Werbung nicht mehr ersichtlich, dass es sich dabei um gezielte Manipulation handelt. Groß ist da das Entsetzen, wenn eine solche Kampagne auffliegt.

Mit gezielter Propaganda ist beinahe alles zu bezwecken: Ob die Zustimmung der Bevölkerung zu einem Krieg, die Verbesserung des Rufs der Waffen- und Tabaklobby, die Beeinflussung eines Wahlkampfes oder die simple Absatzförderung von Verhütungsprodukten. Das heißt allerdings nicht, dass hinter jedem Medienbeitrag ein Manipulationsversuch stecken muss. Wie der einfache Mensch sich des Wahrheitsgehaltes einer Information versichern kann, ist schwer zu beantworten. Ein Ansatzpunkt ist das gezielte Prüfen der Informationsquelle. Wer steckt hinter dem Pressekonzern, wo ist eine eventuelle Verbindung zu Politik oder Wirtschaft. Ist auch das zu vage, bleibt nur das gute, alte Bauchgefühl: Es sagt uns, dass Tabak und Krieg doch irgendwie schlecht sind, Fremdenhass als Wahlkampfparole unmoralisch ist und dass ein junges weinendes Mädchen uns doch unmöglich anlügen kann…