VON CLEMENS POKORNY | 15.08.2014 14:25

Bahnprivatisierung: Bahn unterm Hammer?

Vor genau zwanzig Jahren begann mit der Bahnreform die Privatisierung der Eisenbahn in Deutschland. Noch ist das Schienennetz gänzlich in öffentlicher Hand. Doch der massive Abbau von Strecken, Bahnhöfen und sogar einer ganzen Zuggattung (Interregio) lässt erahnen, dass da ein Staatsunternehmen auf Kosten seiner Kunden fit für den Ausverkauf gemacht werden soll. Eine Privatisierung des Schienennetzes und/oder ein (Teil-)Verkauf der DB AG hätten gravierende negative Folgen für Mitarbeiter und Reisende.

„Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird.“ (GG Art. 87e, Abs. 4) Viele Menschen befürchten, dass durch eine Privatisierung, wie sie schon seit zwanzig Jahren geplant ist, die Deutsche Bahn nicht mehr dem Gemeinwohl dienen könnte, sondern nur noch den Profitinteressen der privaten Betreiber und der Anteilseigner. Was steckt dahinter?

Schon 1994 wurde der Schienenverkehr in der vereinigten Bundesrepublik mit der Bahnreform umgekrempelt. Die Bundesbahn wurde zu einer Aktiengesellschaft, der Deutschen Bahn AG, deren Anteile der Staat – anders als ursprünglich geplant – noch immer zu 100% hält. Die Länder übernahmen vom Bund die Verantwortung für den Personennahverkehr. Und die Reform öffnete die Schienenwege für private Konkurrenten der Staatsbahn.

Wasser-Privatisierung?

Seitdem wurde mehrfach geplant, Teile der DB AG an private Investoren zu verkaufen. Bisher scheiterte jeder dieser Anläufe, 2008 z.B. an der schlechten Lage an den Börsen (Finanzkrise). Doch vom Tisch sind die Pläne deswegen noch lange nicht. Dabei muss zwischen zwei Privatisierungsmodellen unterschieden werden: Das eine sieht eine (Teil-)Privatisierung des Verkehrsunternehmens vor, das andere auch den Verkauf des Schienennetzes oder Teilen davon. Insbesondere gegen die zweite Variante wehren sich Betroffene wie das Bündnis Bahn für Alle oder der Fahrgastverband Pro Bahn heftig. Denn das Schienennetz ist, wie das Grundwasser, ein natürliches Monopol: Konkurrenz, wie sie in der Marktwirtschaft erwünscht ist, gäbe es so gut wie gar nicht. Der Eigentümer oder Pächter des Schienennetzes hätte somit eine riesige Macht, die er leicht missbrauchen könnte – und müsste nach den bisherigen Varianten einer Privatisierung des Netzeigentums viel weniger bezahlen als die Schienen und dazugehörigen Grundstücke wert sind. Außerdem haben private Unternehmen kein Interesse an einer guten Verkehrsinfrastruktur, sondern sind primär an möglichst hohen Renditen interessiert. Wozu das führt, lässt sich am Beispiel Großbritannien studieren, wo die privaten Netzeigentümer nach der Privatisierung das Schienennetz verrotten ließen – deshalb kam es zu mehreren schweren Zugunglücken mit etlichen Toten.

Doch auch eine Privatisierung der Netznutzung, wie in Deutschland schon seit längerem der Fall, hat ihre Tücken. Bei der Ausschreibung einer neuen oder einer von der Deutschen Bahn aufgegebenen Strecke setzt sich in der Regel der billigste Bewerber durch – also derjenige, der die geringsten Löhne zahlt. Die Angestellten bekommen eine im Vergleich zu Kollegen der DB deutlich kürzere und schlechtere Ausbildung. Häufige Verspätungen und z.T. sogar Unfälle sind die Folge, beispielsweise bei den meist völlig überfüllten Regionalzügen der VIAS GmbH (Odenwaldbahn). Und sobald ein Bewerber den Zuschlag bekommen hat, gibt es keine Konkurrenz mehr, sofern nicht etwa ein Busunternehmen die gleiche Strecke bedient. Der private Anbieter spürt mithin keinen Druck, eine gute Dienstleistung im Sinne seiner Kunden anzubieten, solange diese auf ihn angewiesen sind, und kann sich ganz auf Profitmaximierung konzentrieren.

Dieses Problem gibt es freilich auch bei der Deutschen Bahn. 500 Kilometer Schienen und Dutzende Bahnhöfe wurden in den letzten Jahren stillgelegt – pro Jahr. Diese Maßnahmen wider die Interessen der Kunden und Mitarbeiter dienten dazu, das Unternehmen DB AG profitabler und damit für potentielle Investoren attraktiver zu machen. Wie auch immer die Zukunft der Bahn aussehen wird, eines sollten sich die Verantwortlichen vor Augen führen: Die Eisenbahn dient der Mobilität der Menschen und erfüllt damit eines unserer Grundbedürfnisse. Öffentliche Bildungseinrichtungen tun das auch – ohne dass jemand forderte, Kindergärten, Schulen und Hochschulen müssten Gewinn abwerfen. Auch bei den vorliegenden Modellen einer Bahnprivatisierung würde der Staat noch jedes Jahr Milliarden in die Schiene investieren. Es stellt sich also die Frage, ob sich die Bahn mit ihrer Gewinnorientierung nicht grundsätzlich in eine falsche Richtung bewegt – und ob somit nicht die Privatisierung grundsätzlich in Zweifel zu ziehen ist.

Filmtipp: „Bahn unterm Hammer“ (2007) von Herdolor Lorenz und Leslie Franke (teilweise online).