VON RICHARD KEHL | 03.05.2010 11:57

Die Zeiten ändern sich

Was war einst „In“, was heute verpönt ist, wie konnten Menschen überhaupt ohne Handy und Laptop leben? Wir lassen - anhand von ein paar Beispielen - ein Jahrhundert Revue passieren.

Wie oft hören wir Sprüche: „Früher war alles besser“. Schon unsere Urahnen schwelgten gerne in Nostalgie. Heutzutage ist es auch nicht anders, vor allen in Zeiten, die gerade eine neue Ära einleiten: Den Abschied von der Privatsphäre. Aber wie war es um die Jahrhundertwende, was hat sich in diesem Zeitraum bis heute geändert?

Trinken: Wer kennt ihn nicht den Spruch: „Früher konnten die Frauen noch kochen wie die Mütter, heute saufen sie wie die Väter“. Gehen wir über 100 Jahre zurück in der Geschichte: Um 1900 war der Anteil trinkender Frauen sehr gering. In den 50er Jahren trank die deutsche Frau vielleicht einmal auf Familienfeiern oder ähnlichen Anlässen. Die Frau trank nur, wenn ein Mann sie ausführte, aber nur in Maßen, um nicht alkoholisiert verführt zu werden. Voreheliche Kontakte entehrten die Frau in den Augen der Gesellschaft. Heute verführen Frauen genauso wie Männer. Serien wie „Sex in the City“ mit „Tabu-Brüchen“ sind gesellschaftsfähig und dienen Frauen als Vorbild. In-Getränke wie Sprizz, Prosecco oder Champagner sind bei den Frauen heute genauso wichtig wie ein neues Paar Schuhe.

Heirat: Um die Jahrhundertwende gingen Männer im Alter von durchschnittlich 29 Jahren den Bund für das Leben ein; Frauen im Alter von 26 Jahren. Die Heirat diente in der vorindustriellen Gesellschaft zur Familiengründung. Diese war für den erfolgreichen Aufbau einer selbständigen Existenz in der Landwirtschaft und im Handwerk zwingend. Die jeweiligen Betriebe wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Heute herrscht eine Landflucht: Bauern im Alter von 30 bis 50 Jahren suchen über Reality Soaps im TV eine Frau und Betriebe werden nur noch selten von Generation zu Generation vererbt. Pro Ehe wurden im Schnitt vier Kinder gezeugt – 1971 lag der Schnitt bei 1-2 Kindern pro Familie. Die Scheidungsraten waren noch relativ gering. Heutzutage sind Patchwork-Familien – Partner mit Kindern aus unterschiedlich vergangenen Ehen – keine Seltenheit mehr.

Auch Babys wurden – im Gegensatz zu heute – nicht in Kliniken, sondern in den eigenen „Vier Wänden“ mit Hilfe einer Hebamme, zur Welt gebracht. Jeder fünfte Säugling überlebte in der Regel das erste Jahr um die Jahrhundertwende nicht. Es war verpönt und anrüchig, sich mit einer bevorstehenden Geburt in ein Krankenhaus zu begeben. Nur die soziale Unterschicht begab sich dort hin.

Ein anderes Beispiel: Rauchen. Weltendecker Christoph Kolumbus importierte im 15. Jahrhundert die Tabakpflanze von Amerika nach Europa. Hier war ihr Einsatz vorerst medizinischen Belangen vorbehalten. Um die Jahrhundertwende war das Pfeife rauchen „en vogue“ und ein Privileg der Männerwelt. Es gab sogar eigene Raucherzimmer, in denen sich die Herren, nach dem Essen, zum Rauchen trafen. Mit der Einführung der Zigarette wurde das Rauchen auch für Frauen gesellschaftsfähig. Besonders in den 50er und 60er Jahren war Rauchen „In“. James Dean mit Jeans, T-Shirt und Zigarette im Mund war ein Vorbild einer ganzen Generation. Andere damalige Hollywoodgrößen hielten sich hier auch nicht zurück: Humphrey Bogart, Marlon Brando, Clint Eastwood und viele andere Stars hielten die Fahne des coolen „Macho“ mit Zigarre oder Glimmstängel im Mund hoch. Das färbte sich auch dementsprechend auf die Geschäftswelt ab: Chefs rauchten dicke Zigarren, tranken Whiskey und die Sekretärin war in gewisser Art Freiwild. Heute wären solche Verhaltensweisen undenkbar.

Umweltschutz ist ein Thema das erstmals mit der Einleitung des Industriezeitalters erwähnt wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts schaffte der preußische Kaiser mit dem allgemeinen Berggesetz sowie der Gewerbeordnung erste Regelungen. In erster Linie um die Wasserversorgung sicherzustellen – gleichzeitig die daraus resultierenden gesundheitlichen Probleme wegen mangelnder Abwasserbeseitigung, einzudämmen. Umweltschutz war auch in den 50er und 60er Jahren eher noch ein Fremdwort als ein politisches Kernthema. Bei Ausflügen wurde überall der Müll stehen und liegen gelassen – egal wo man sich gerade befand – und fast kein Mensch hat sich darüber beschwert. Wurde die politisch umweltschutzaktive Partei „Die Grünen“ zu ihren Gründerzeiten 1980 noch belächelt sind sie heute eine wichtige Fraktion unter dem Namen „Bündnis 90/Grüne“ im Bundestag geworden.

Musik: Klassische Komponisten waren die Rockstars ihrer Epoche. Mit Blues und Swing kam in den 20er Jahren die erste nicht klassisch orientierte musikalische Welle von Amerika nach Deutschland. Mit Einführung des Fernsehens wurden Rockstars weltweit bekannt. Plattenfirmen dirigierten den Markt der Stars und Sternchen bis Anfang 2000. Filesharing-Portale wie Napster leiteten die digitale Musikrevolution sowie die Downloadgeneration des Internetzeitalters ein. Fortan konnte jeder, der ein Musikprogramm bedienen konnte, eigene Songs produzieren, ein eigenes Label gründen und seine Werke zum Download im Netz anbieten. Mit der legalen und kostenpflichtigen Downloadplattform „I-Tunes“ rettete Apple die Musikindustrie vor dem totalen Bankrott. Dadurch generierte Apple die größte Musikdatenbank der Welt.

Kommen wir zum letzten Beispiel: Kommunikation. Das Briefeschreiben ist schon immer ein Mittel gewesen um mit Leuten in Verbindung zu treten. Mit der Einführung des Fernsprechapparates ist die Häufigkeit dieser Interaktion gesunken. Das Fax war der Vorreiter von Emails und Mobilfunk. Durch die Ausbreitung von Email und Mobilfunk für „Jedermann“ wurde auch dieses Kommunikationsmittel immer mehr an den Rand gedrängt.

Privatsphäre: Heute leben wir im Zeitalter von Sozialen Netzwerken. Über Facebook, Twitter und Co wird dem interaktiven Gedankenstriptease weltweit gefrönt. Mit der Etablierung des sogenannten Web 2.0 verliert sich die Privatsphäre des Individuums in den Weiten des Internets. Das sogenannte „Spy-Networking“ ist zum täglichen Bestandteil unseres Lebens geworden.