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VON JULIANE DÖLITZSCH  |  21.02.2017 13:41

Bereicherung oder Bedrohung

Studierende der Universität Jena erstellen Studie zum Meinungsklima über Flüchtlinge

„Dass wir erfolgreich forschen und Studenten sich bei uns wirklich ausprobieren können, ist eines der Markenzeichen der Universität Jena“, ist Prof. Dr. Wolfgang Frindte überzeugt. Davon nimmt der Kommunikationspsychologe, der zu Rechtsextremismus und Migration forscht, sein Fach nicht aus. „Auch in der Kommunikationswissenschaft gehören die forschungsorientierte Lehre und ein vielseitiges Angebot von Studienprojekten zu den Aushängeschildern.“

So steht im Masterstudiengang „Öffentliche Kommunikation“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena u. a. das Modul „Kommunikationspsychologische Analyse“ auf dem Stundenplan – für gleich zwei Semester. Denn: Die selbstständige Konzeption, Durchführung und Auswertung eines Forschungsprojekts erfordern viel Zeit. Vier Gruppen haben sich seit dem Sommersemester 2016 verschiedenen Themen gewidmet und ihre Projekte nun abgeschlossen. Da wurden nicht nur zum Böhmermann-Schmähkritik-Skandal in deutschen und türkischen Medien Untersuchungen angestellt, sondern auch zu Geschlechterrollen in Fernsehwerbung oder zu Menschen, die Zivilcourage beweisen.

„Ich bin ja nicht rechts, aber …“

Stephanie Wohlt, Tarek Barkouni, Anika Czichy, Kirsten Richter, Kristin Silge und Anna Welzel haben in ihrem Projekt Einstellungen zu Flüchtlingen untersucht. Ihre Studie lief unter dem Titel „Ich bin ja nichts rechts, aber …“ – ein Satz, der der Gruppe, beliebig fortgeführt, in den vergangenen Monaten in Gesprächen häufiger begegnet ist. „Diese Aussage suggeriert, dass man – entgegen dem Bild, das man von sich selbst hat und das andere von einem haben sollen – doch innerlich mit der ein oder anderen Ansicht sympathisiert. Das wollten wir näher betrachten“, sagt Kirsten Richter. So erstellten sie einen Online-Fragebogen, den sie an Bekannte und Verwandte verteilt sowie in sozialen Netzwerken deutschlandweit verbreitet haben. „Unser Ziel war einerseits, das gegenwärtige Meinungsklima zu Flüchtlingen einzufangen. Zusätzlich wollten wir herausfinden, ob sich implizite und explizite Einstellungen unterscheiden“, erzählt Richter. Implizite Einstellungen sind tief in der Persönlichkeit verankert, oft unbewusst. Bewusste, geäußerte Einstellungen werden als explizit bezeichnet.

„Bezogen auf die 144 Teilnehmer, von denen die meisten Studenten und zwischen 20 und 35 Jahren alt waren, können wir ein eher positives Klima Flüchtlingen gegenüber feststellen. Dennoch ist aufschlussreich, dass der implizite Test, bei dem positive und negative Assoziationen der Versuchspersonen sowohl zu Flüchtlingen als auch zu Deutschen erhoben wurden, tatsächlich negativer ausgefallen ist als der explizite, für den es konkrete Fragestellungen gab“, berichtet Stephanie Wohlt. „Daraus ließe sich z. B. ableiten, dass im expliziten Fragenteil positiver geantwortet wurde, um sich selbst als offener darzustellen oder um mehr soziale Zustimmung zu erhalten. Ob das bewusst oder unbewusst geschehen ist, lässt sich allerdings nicht sagen“, erklärt Richter eine Möglichkeit der Diskrepanz.

Die nicht-repräsentative Studie der Gruppe zeigt überdies, dass durch Flüchtlinge ausgelöste Bedrohungsgefühle mit negativen Einstellungen diesen gegenüber zusammenhängen. Wer Flüchtlinge als Risiko betrachtet, hat entsprechend kritischere Einstellungen; wer Flüchtlinge dagegen eher als Chance und Bereicherung wahrnimmt, verfügt ihnen gegenüber auch über eine positivere Haltung. Zusätzlich rücken die Studierenden die soziale Identifikation in den Fokus: Wer sich stärker als Deutscher oder als Teil von Deutschland identifiziert, empfindet Fremde eher als Bedrohung – und hat ablehnendere Anschauungen ihnen gegenüber.

Wertschätzung durch Publikation

Dass es die sechsköpfige Gruppe mit ihrer Studie gar in Prof. Frindtes neue, für Sommer 2017 angekündigte Buchpublikation zu Einstellungen gegenüber Flüchtlingen und dem Islam schafft, begeistert Wohlt sehr: „Einen Artikel zu veröffentlichen, ist ein tolles Ergebnis des Projekts. Es ist ein sehr gutes Gefühl, dass unsere wissenschaftliche Arbeit schon jetzt wertgeschätzt wird und wir uns hinter erfahrenen Wissenschaftlern nicht verstecken müssen.“

Richter empfindet die Studienprojekte am Institut für Kommunikationswissenschaft generell als eine gute Gelegenheit, Einblick in den Prozess wissenschaftlichen Arbeitens zu erlangen. „Wir merken schon, dass die Uni Jena nicht nur Wert auf einen Praxisbezug legt, sondern auch Wege in die Forschung öffnet. Mein Respekt für Wissenschaftler ist auf jeden Fall noch mal gewachsen“, zieht die 28-Jährige ihr Fazit. Frindte selbst sieht das ganz nüchtern: „Wer inhaltlich etwas beiträgt, sollte natürlich die Chance haben, seine Ergebnisse zu veröffentlichen. Auch für Forscher und Lehrkräfte ist es etwas Besonderes, Hand in Hand mit Studierenden zu publizieren.“